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Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Titel: Merkels Tochter. Sonderausgabe. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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Typ, den Kopf hielt er meist gesenkt, als wage er es nicht, einem Menschen ins Gesicht zu schauen. Bei so einem stellte man sich zwangsläufig vor, dass er ein Messer zückte, kaum dass man ihm den Rücken zugekehrt hatte.
    Er kam immer um halb zwölf und ging um halb vier. Wenn Ulla Fendrich sich in ihrer Küche aufhielt, was sie um halb vier meist tat, es war ihre Kaffeezeit, sah sie ihn oft vorbeigehen. Einmal stapfte er in einem zerschlissenen NATO-Kampfanzug zur Straßenecke wie ein einsamer Partisan. Ein andermal hüpfte und tänzelte er in grellbunten Pluderhosen von rechts nach links über die Straße, schlenkerte seine Fäuste herum, als stünde er in einem Boxring.
    Vor zwei Wochen war er einmal rückwärts auf die Straßenecke zugelaufen, unter dem Arm eine Mappe aus bedrucktem Karton. Dass sie Fragebögen einer Fahrschule enthielt, wusste Ulla Fendrich nicht. Wäre ihr das bekannt gewesen, hätte sie dazu wohl ebenso den Kopf geschüttelt wie Merkel. Als er die Ecke erreichte, drehte er sich wie ein Wahnsinniger im Kreis, vollführte ein paar Bocksprünge und brüllte dabei aus voller Kehle etwas von Paragraph eins, der für jeden gelte, auch für Helmut.
    Ulla Fendrich hatte nicht jedes Wort verstanden und nahm an, mit Helmut sei der ehemalige Bundeskanzler gemeint, vielleicht regte der Irokese sich über dessen hartnäckiges Schweigen in der Spendenaffäre auf. Denn er selbst hätte zweifellos Paragraph einundfünfzig – oder wie immer man das heutzutage beziffere.
    Da war der Thomas-Gottschalk-Verschnitt mit dem roten Opel Kadett, der zum ersten Mal im Rosenweg aufgetaucht war an dem Tag, als der kleine Patrick geboren wurde, schon einige Nummern besser. Bei Ulla Fendrich hatte er sich als guter Freund von Irene ausgegeben. Das war er auch, darauf hätte Ulla Fendrich geschworen. Er besuchte Irene bestimmt nicht, um aus einer Schulfibel zu lesen wie der Irokese.
    Seit Wochen parkte er seinen Kadett nicht mehr vor Irenes Tür, fuhr immer durch bis zu den beiden Häusern am Ende des Rosenwegs, die ebenfalls schon bewohnt waren. Darin hielt sich jedoch tagsüber niemand auf, der ihn oder sein Auto hätte sehen können. Und dann nahm er den Trampelpfad hinter den Baustellen, über den man zur Rückseite der Grundstücke kam, als ob sich damit etwas vertuschen ließe.
    Anfang Juni hatten sich Irene und ihr guter Freund eine geschlagene Stunde lang im Wohnzimmer über die erogenen Zonen einer Frau unterhalten. Irene hatte sehr anschaulich erläutert, wie wichtig Küsse seien und auf welche Weise eine Frau gerne berührt wurde. Es war besser als jeder Aufklärungsunterricht gewesen. Ulla Fendrich hatte zuerst unfreiwillig und erstaunt, dann mit wachsendem Interesse zugehört und sich gewünscht, ihr Mann käme ausnahmsweise einmal früher nach Hause. Das war ihr schon lange nicht mehr passiert.
    Nur einen Tag später war der Blonde schon wieder da gewesen, vermutlich um zu zeigen, dass er die Lektion gelernt hatte. Im Wohnzimmer waren sie jedenfalls nicht, Ulla Fendrich hörte kein Wort, obwohl sie die ganze Zeit in der Sonne lag. Sie sah ihn nur kommen und eine gute halbe Stunde später wieder durch den Garten zum Trampelpfad verschwinden. Für sie hatte er keinen Blick. Irene stand offenbar bei der Terrassentür. Als er über den Zaun stieg, winkte er noch einmal in die Richtung. «Bis demnächst mal wieder.»
    Sympathische Stimme, verliebter Unterton, etwas anderes als der Bass von dem bekloppten Irokesen, der am Montag keine drei vollständigen Sätze über die Lippen brachte. Am frühen Nachmittag verfolgte Ulla Fendrich mit sehr gemischten Gefühlen eine Auseinandersetzung, vielmehr eine Strafpredigt, die Irene dem Zweimetertyp hielt. Er musste vor Wut überkochen. Ulla Fendrich verstand nicht viel mehr, als dass Irene sich die Bäume in den Hintern schieben solle, weil er nicht vorhätte, sich noch länger von Weibern herumkommandieren zu lassen.
    «Pass auf, was du sagst», schmetterte Irene ihn ab. «Ich denke, du weißt, wer von uns beiden am längeren Hebel sitzt. Du gehst morgen früh dahin, pünktlich um acht. Und wehe, du benimmst dich nicht wie ein Mensch. Ich habe mit ihnen vereinbart, dass sie mich anrufen, wenn du Zicken machst.»
    Ulla Fendrich fragte sich, ob Irene keine Angst kannte. Anscheinend nicht, weder vor dem Irokesen noch vor sonst jemandem. Am Dienstag, kaum dass Merkel das Haus seiner Tochter verlassen hatte, tauchte die Schnapsdrossel auf in einem uralten, klapprigen Fiat, den

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