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Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Titel: Merkels Tochter. Sonderausgabe. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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Bluse, der Rock, das Gesicht, die dünnen, blonden Haare, die nackten Arme, die nackten Füße. Ein Paar flache Sandalen standen vor dem Bett.
Und gegenüber schrie ihr Sohn nach der Flasche, einer frischen Windel, nach ihr. «Halt’s Maul!», brüllte Merkel über die Schulter zurück, «halt’s Maul, du Kröte, oder ich stopf es dir!»
Nach zwei Jahrzehnten, nach dieser Ewigkeit war er dicht davor gewesen, eigentlich schon dabei, sich wieder einem Menschen zu öffnen – und jetzt war wieder alles zerstört. Er hätte das nicht zulassen dürfen, jetzt war es zu spät.
Alles vorbei. Wieder an der Tür zu einem Schlafzimmer, wieder auf einem Bett. Kein nackter Hintern diesmal, der ihm vor Augen tanzte, nur eine Leiche, und die lag ganz friedlich. Ein Unterschied war es trotzdem nicht.
Dass sie tot war, bezweifelte er keine Sekunde. Zwar waren von der Tür aus keine sichtbaren Verletzungen zu erkennen, aber das ganze Blut, und sie rührte sich ja nicht. Er ging nicht ins Zimmer hinein. Vielleicht war es Wut, die ihn zurückhielt. Eine furchtbare Wut, die ihn vielleicht dazu verführt hätte, sie zu verprügeln, wenn er näher herangegangen wäre. Auf sie einzudreschen, sie bei den Schultern zu packen und zu schütteln. Du verfluchtes, dummes Weib, wie konntest du dich so einfach abschlachten lassen?
Vielleicht hielt ihn auch zurück, was er sich vor Urzeiten als Polizist antrainiert hatte. Nichts anrühren, lasst zuerst die Forensik und die Spurensicherung an den Tatort. Die Türklinke hatte er angefasst. Das war nicht mehr zu ändern. War vielleicht auch nicht so wichtig.
Das Zimmer war kein Tatort, nur der Platz, an dem man sie abgelegt hatte. Nein, nicht abgelegt, aufgebahrt! Die züchtig zusammengelegten und von dem langen Rock fast bis zu den Knöcheln bedeckten Beine, die gefalteten Hände, die Blumen darin. Er erinnerte sich, dass die Nelken gestern noch in einer Vase auf der Fensterbank in der Küche gestanden hatten. Nur ein Irrer konnte so etwas tun! Aber was hatte sie sich denn auch mit jedem Idioten abgegeben? Hatte es nicht gereicht, einen Mann zu haben, ein Kind und einen Vater?
Dass ihr Mörder sich möglicherweise noch im Nebenzimmer oder im Bad aufhielt, sich schnell dahin zurückgezogen hatte, als er die Treppe hinaufkam, darüber dachte er nicht nach. Er stieg wieder nach unten. Das Geschrei aus dem Kinderzimmer hörte er schon fast nicht mehr, war viel zu sehr damit beschäftigt, das Loch in seinem Innern zu stopfen, das Bild hineinzuschieben, das sich ihm vor zehn Monaten eingeprägt hatte. Wie sie bei der Haustür stand und ihm nachwinkte. Wie der leichte Wind ihr ein paar von den dünnen Haarsträhnen ins Gesicht blies. Und wie stark sie wirkte mit ihrem dicken Bauch und dem Lachen auf dem herben Gesicht, so als könne man sich in jeder Situation auf sie verlassen.
Er sah die Sonnenanbeterin im Wohnzimmer stehen, ziemlich nah bei der Tür zur Diele. Das Entsetzen auf ihrem Gesicht bei seinem Anblick oder beim Anblick der blutigen Streifen. «Gehen Sie», rief er ihr zu, «na los doch, gehen Sie schon. Rufen Sie die Kripo, machen Sie das bei sich. Hier darf man nichts anfassen. Geben Sie die Adresse durch und Ihren Namen. Sagen Sie, hier liegt eine Tote.»
Eine Tote! Nur irgendeine! Wenn er hart geblieben wäre, vor zwei Jahren in der Kneipe, wenn er sie nicht zurückgehalten hätte, dann wäre sie jetzt nicht mehr und nicht weniger als irgendeine Tote. Er hätte es vielleicht morgen in der Zeitung gelesen. Oder er hätte es von Kurt und Agnes erfahren. Er hätte mit Agnes darüber gesprochen, mit Kurt natürlich auch. Agnes hätte geweint und gefragt: «Wer tut denn so etwas? Irene war so ein lieber Mensch.»
Und er hätte geantwortet: «Glaube ich dir, Agnes. Ich hab sie ja nicht gekannt, aber ich glaube es dir aufs Wort.»
Ein lieber Mensch, doch, das war sie gewesen. Aber jetzt war sie nur noch ein toter Mensch. Und gestern hätte er sie beinahe in die Arme genommen.

16. Kapitel
    Ulla Fendrich presste eine Hand vor den Mund und eine gegen die Stirn. Die Schmerzen waren wieder da, so stark, dass sie kaum denken konnte, hinzu kam die Panik. Das Blut an den Wänden und der Küchentür, der Alte auf der Treppe, sein Brüllen und das kalte Gesicht. Sie konnte sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete, die Wangenmuskeln mahlten. Ein Mörder! Einer, der von einer Toten sprach! So davon sprach, als ginge es ihn einen Dreck an. Er war doch ihr Vater. Wie konnte er da so einfach von einer Toten

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