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Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Titel: Merkels Tochter. Sonderausgabe. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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ein kleines Kind hatte und wie viel Energie. Irgendwann stand Merkel dann doch vor dem Gitterbett, die nun offene Tür zum Zimmer gegenüber versuchte er zu ignorieren.
    Er schaute in das hochrote, schweißnasse Gesicht seines Enkels und registrierte flüchtig, dass der Junge mit nackten Füßen nicht auf einem Laken oder einer Decke stand, sondern auf einem Schlafsack, der mit Gurten am Bettgestell befestigt war und wohl verhindern sollte, dass er sich selbständig machte. Warum hatte sie ihn nicht hineingelegt? Hatte sie gedacht, es sei zu warm? Der Schlafsack war aus wattiertem Material.
    Merkel streckte die Hände aus, griff unter die Achseln des Babys. Er musste ein wenig zerren, ehe sich die kleinen Hände von der Querstange des Gitters lösten. Nicht einmal dabei unterbrach der Junge sein Geschrei.
    Er nahm ihn auf den Arm und tat nun doch noch, was getan werden musste. Stieß die Tür zum Bad auf, so heftig, dass sie gegen die Wand schlug. Dahinter stand schon mal keiner. Und es stand auch niemand mit einem bluttriefenden Messer in der Duschkabine. Nur die Klarglastüren waren mit getrockneten Spritzern übersät, als hätte jemand eine Dusche genommen und nicht saubergemacht. Wenn er dienstags badete, waren die Türen der Dusche immer spiegelblank. Die wischte sie sofort trocken, wenn sie geduscht hatte, jeden Morgen, damit es keine Kalkränder gab. Mit dem Gebrüll am Ohr ging er zur letzten Tür, kontrollierte auch noch das dahinter liegende Zimmer. Keiner da.
    Erst auf der Treppe schien der Junge zu begreifen, dass jemand gekommen war und ihn auf dem Arm trug. Er riss einmal die Augen auf, schaute Merkel ins Gesicht und brüllte sofort weiter.
    «Jetzt reicht’s aber!», schrie Merkel. «Jetzt reicht’s wirklich! Sei endlich still, sonst brülle ich mit!» Er schüttelte ihn ein bisschen, Erfolg hatte er damit nicht.
    Und plötzlich erinnerte er sich, dass es mit ihr auch einmal so gewesen war. An einem Sonntagnachmittag. Seine Frau machte einen Stadtbummel, angeblich mit ihrer Schwester, und hatte ihn mit ihr allein gelassen. Ein halbes Jahr war sie alt. «Ich muss mal raus, Hein, das verstehst du doch, oder? Sie schläft bestimmt bis um sechs, dann bin ich wieder hier.»
    War sie nicht. Nicht um sechs, auch nicht um halb sieben. Und kurz nach sechs wachte Irene auf. Zuerst jammerte sie nur ein wenig, war gleich still, als er sie aus dem Bettchen nahm und sich mit ihr in einen Sessel setzte. Sie schaute ihn an die ganze Zeit, immer unverwandt ins Gesicht. Er fragte sich, was so ein kleines Kind wohl denken mochte, ob es überhaupt schon denken konnte.
    Nach einer Weile begann sie wieder zu jammern, erst nur leise, so als ob sie einmal nachfragen wollte, wo denn die Brust blieb. Er suchte im Kinderbett nach dem Schnuller, fand ihn auch und verschaffte sich damit noch eine ruhige Viertelstunde. Aber dann war es endgültig vorbei mit ihrer Geduld. Sie war wohl sehr hungrig. Schließlich lief er von einem Zimmer ins andere, hielt sie bäuchlings in der Armbeuge, tätschelte ihr den Rücken und den Po, erzählte ihr dabei irgendeinen Unsinn, dass ihre Mutter jeden Augenblick kommen müsse und so weiter, erreichte absolut nichts damit und hätte am liebsten ebenfalls geschrieen.
    Jetzt war es genauso. Ihm perlte der Schweiß auf der Stirn und der Oberlippe, und dabei fror er erbärmlich. Er stand mitten in der Diele, wusste nicht, wohin mit dem Jungen, und wünschte sich, die Sonnenanbeterin käme zurück und würde ihn von dem Schreihals befreien. Der Kleine war so nass. Er trug ein dünnes, gelbes Baumwollhemdchen, es war feucht bis unter die Achseln. Die kurzen Hosen fühlten sich genauso an. Dabei roch er ganz frisch, ein bisschen nach Seife, Waschpulver und der Creme, die Irene ihm immer ins Gesicht schmierte.
    Wo blieb dieser Strich in der Landschaft nur? So lange telefonierte doch kein Mensch mit der Polizei. Er konnte sich nicht länger aufhalten, musste zum Dienst. Den ganzen Weg zurück in die Stadt. Und den Hund abholen. Ein guter Hund, der Leo, absolut treu und zuverlässig, gehorchte ihm aufs Wort, obwohl er nicht der Besitzer war. Wie aufmerksam er immer zu ihm hochschaute, wenn sie ihre Runden durchs Einkaufszentrum drehten. Dem Leo entging nichts. Bisher hatten sie zwar noch keine besonderen Vorkommnisse zu melden gehabt, aber im Notfall, davon war Merkel überzeugt, war auf den Hund Verlass.
    Kurz nach vier tauchte endlich Polizei auf. Zuerst kam nur ein Streifenwagen, ein Mann und eine Frau

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