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Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Titel: Merkels Tochter. Sonderausgabe. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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früher. Doch das war nur eine grobe Schätzung, abgeleitet aus der Körpertemperatur der Toten. Man musste jedoch auch die Raumtemperatur berücksichtigen, die er ebenso gewissenhaft maß. Er war sofort bereit, sich auf vierzehn Uhr zu korrigieren, weil die Leichenstarre noch nicht stark ausgeprägt war.
    Es gab ja noch einen Zeugen, auf dessen Verhalten man sich stützen konnte. Jeder, der den kleinen Patrick an diesem Nachmittag erlebte, war schon nach wenigen Minuten überzeugt, dass nur Irene selbst ihn über Mittag versorgt und wieder ins Bett gebracht haben konnte. Im anderen Fall hätte Ulla Fendrich auf ihrer Terrasse keine ruhige Sekunde gehabt.
    Die junge Polizistin, die sich in der Küche des Bungalows damit abquälte, den Jungen mit einem Obstbrei zu füttern oder ihm wenigstens ein bisschen Tee einzuflößen, weil es so heiß war und er so schwitzte, verzweifelte an ihren Versuchen. Zwar hatte der Kleine merklich an Elan eingebüßt, gab nur noch zittrige Schluchzer von sich, doch seine Energie reichte immer noch aus, den Kopf zur Seite zu werfen, sobald die Hand mit dem Löffel oder der Teeflasche vor seinem Gesicht auftauchte. Dazu schlug er mit beiden Händen heftig um sich, bäumte sich auf, dass die Polizistin Mühe hatte, ihn auf ihrem Schoß zu halten.
    Mehr Erfolg hatte auch Gernot Brandes nicht. Weder sein Anblick noch seine Stimme konnten das Kind beruhigen. Brandes erklärte, er sei beruflich sehr stark eingespannt, käme immer erst spät heim. Und seit zwei Monaten fremdle sein Sohn stark, sei ausschließlich auf Irene fixiert. Dass Merkel den Kleinen mit der Singerei eine ganze Weile ruhig gehalten hatte, war niemandem aufgefallen.

18. Kapitel
    Nach sechs erlaubte Lukas Heinen Merkel endlich, zu gehen, wollte ihn sogar fahren lassen. Der blonde Polizist ging mit ihm hinaus, doch Merkel kümmerte sich nicht um ihn, nahm sein Rad vom Zaun und schwang sich auf den Sattel, noch ehe der Polizist in den Streifenwagen gestiegen war. Schon auf den ersten Metern trat er kräftig in die Pedale. An der Ecke kam ihm ein Auto entgegen. Er achtete nicht darauf.
    In dem Wagen saß eine Frau in Irenes Alter, eine Mitarbeiterin des städtischen Jugendamtes, die nur in den Rosenweg kam, um seinen Enkel abzuholen. Gernot Brandes sah sich außerstande, für seinen Sohn zu sorgen. Seine Eltern waren in Urlaub, eine sechswöchige Reise auf einem Luxusliner, es war unmöglich, sie zurückzurufen. Irgendeinem Polizisten hatte Irenes Mann auch erklärt, seine Schwiegereltern seien tot. So schien es am besten, das Kind erst mal in einem Heim unterzubringen.
    Aber selbst wenn Merkel das gewusst hätte, er hätte es doch nicht ändern können. Er war ja damals auch in einem Heim gelandet, und mit Kindern konnte er nicht umgehen, mit so kleinen schon gar nicht. Die hingen an ihren Müttern. Irene damals auch. Mutti hinten, Mutti vorne. Er war immer bloß Papa gewesen. Nein, nicht immer, einmal, kam ihm während der Fahrt in den Sinn, hatte sie ihn Vati genannt. An einem Freitagabend war das gewesen, das wusste er auch noch genau.
    Er war an dem Abend spät aus dem Präsidium gekommen. Sie lag längst im Bett, schlief aber noch nicht, kam in die Küche, wo er mit seiner Frau saß und noch ein Bier auf den Feierabend trank. Niedlich sah sie aus in ihrem langen Nachthemd mit den Rüschen am Saum, den nackten Füßen, die darunter hervorschauten, und den Zöpfen. Heike flocht ihr immer Zöpfe in der Hoffnung, dass ihr Haar sich ein bisschen wellte, es half nur nicht viel bei dem dünnen Haar.
    Bis zum Tisch kam sie, blieb vor ihm stehen, schaute ihn an mit einem so seltsamen Blick und fragte: «Hast du kalte Füße, Papa? Ich hab deine Pantoffeln unter die Heizung gestellt. Die sind jetzt bestimmt schön warm. Soll ich sie dir schnell bringen?»
    Komisch, all die Jahre war es weg gewesen. Und jetzt sah er es ganz deutlich vor sich. Die Puppe in ihrem Arm. Und dieser Blick. Das überquellende Herz, das mit jedem Schlag das Gefühl zu den Augen herauspumpte. Als er nickte, huschte sie davon, brachte ihm die Pantoffeln, schaute zu, wie er hineinschlüpfte. «Sind sie nicht zu heiß, Papa?»
    «Nein, sie sind genau richtig», sagte er. «Ab ins Bett mit dir.»
Da beschlugen ihre Augen irgendwie, das dünne Stimmchen wurde vor Enttäuschung noch ein bisschen dünner.
«Aber ich muss dir doch auch noch ein Gutenachtküsschen geben, Vati.»
Und er fragte: «Vati? Seit wann sind wir denn so vornehm?» Dann hielt er ihr die Wange

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