Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Titel: Merkels Tochter. Sonderausgabe. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
Vom Netzwerk:
hätte vermutlich nichts davon bemerkt. Wäre der Hund nicht von Zeit zu Zeit stehen geblieben, hätte er sogar vergessen, die Kontrolluhren zu betätigen, die bewiesen, dass er seinen Dienst ordnungsgemäß versah.
Ein guter Hund, der Leo, ein kluges Tier, spürte genau, dass Merkel mit seinen Gedanken überall war, nur nicht dort, wo er sein sollte. Sonst blieb er doch immer vor den Auslagen im ersten Stock stehen. Schaute sich die Pelze an und fragte sich, wie Irene wohl aussähe in so einem Ding, sagte sich immer, dass es gar nicht zu ihr passte. Seine Frau hatte gut ausgesehen in einem Pelzmantel, wie eine Dame von Welt. Und seine Tochter sah gut aus in einem karierten Hemd oder einem T-Shirt, in verwaschenen Jeans oder den bequemen, weiten Röcken und diesem Gummiring, mit dem sie die Haare im Nacken zusammenhielt.
Vor dem Schaufenster des Juweliers war das etwas anderes. In den letzten Wochen hatte er jede Nacht eine Weile davor gestanden und sich die Uhr angeschaut. So eine kleine zierliche, eine goldene, aber in keiner Weise auffällig, eher schlicht. Kostete ein Vermögen, dreitausend Mark. Aber es war ja auch noch etwas Zeit bis Oktober.
Im Oktober hatte sie Geburtstag. In den letzten beiden Jahren hatte er ihr nur gratuliert, nachträglich, weil er sie an den betreffenden Tagen nicht gesehen hatte. In diesem Jahr fiel ihr Geburtstag auf einen Dienstag, gerade richtig. Und sie trug so ein klobiges Ding am Handgelenk, dachte vielleicht, dass es gut zu den Jeans und den karierten Hemden passte. Aber an ihr schmales Handgelenk passte es überhaupt nicht.
Er hatte sich das richtig schön vorgestellt, ihr die Uhr zu schenken. Sie ihr morgens, wenn sie aus dem Keller wieder in die Küche kamen, neben das Frühstücksgedeck legen, hübsch eingepackt natürlich, wie sie das in den feinen Läden so gut konnten, in Goldfolie mit Schleifchen und anderem Schnickschnack. Ihr Gesicht sehen, ihre Überraschung, ihre Freude, dass sie sich vielleicht mit etwas mehr bei ihm bedankte als einem Handschlag. Ein KUSS auf die Wange wäre sehr schön gewesen. Sie küsste bestimmt nicht mehr so feucht wie früher.
Seit Februar hatte er tüchtig gespart und jede Nacht kontrolliert, ob die Uhr noch da war. Und in der Nacht zum Donnerstag war die kleine, goldene Uhr nur noch ein totes Ding auf schwarzem Samt. So tot wie sie.
Am Donnerstagmorgen brachte er nur den Hund zurück, fuhr nicht nach Hause. Er hätte ja doch nicht schlafen können und befürchtete auch, dass vor seinem Zimmer Polizei auf ihn wartete. Wenn sie Kurt Seifert informiert hatten, der hatte ihnen garantiert gesagt, wo sie Irenes Vater finden konnten. Sie hatten ihm ja noch nicht mal die Fingerabdrücke abgenommen, dabei brauchten sie die doch, um sie auszusortieren. Wenn sie das nachholten, ihn wieder bedrängten, gut möglich, dass er ihnen dann den Namen verriet, den er nicht verraten wollte, weil er irgendwie das Gefühl hatte, es sei seine Sache.
Den ganzen Tag war er unterwegs, besuchte den Friedhof, auf dem Kurts Eltern lagen. Und im Geist hörte er Mutter Seifert immer noch singen. «Weil ich hier bleiben muss.»
Damals mochte das berechtigt gewesen sein, aber jetzt war es das nicht, fand er. Dass eine junge Frau und Mutter, die ein kleines Kind zu versorgen hatte, nicht mehr am Leben und so ein überflüssiger alter Kauz wie er immer noch auf den Beinen war, schien ihm wie ein grober Verstoß gegen ein Naturgesetz.
Er radelte weiter, quer durch die Stadt, stand ein paar Minuten lang an dem Doppelgrab, an dem sie ihm vor gut zwei Jahren die Visitenkarte in die Hand gedrückt hatte. Beten konnte er nicht. Er fragte sich nur, ob man das Grab noch einmal öffnen würde, um sie zu ihrer Mutter zu legen und zu Friedel Gersolek, der ihr vermutlich mehr Vater gewesen war als der leibliche, oder ob ihr Mann ihr ein eigenes Grab kaufte.
Und während er dann weiterfuhr, nur ziel- und planlos umher, versuchte er sich an der Vorstellung, Helmut Ziriak gegenüber zu stehen. Er sah den Hünen vor sich, wie er hinter ihr die Küche betrat. «Helmut, das ist mein Vater. Papa, das ist Helmut, ich habe dir ja schon von ihm erzählt.» Und wie sie dem Koloss eine Hand auf die Schulter legte, damit er sich zu ihnen setzte.
Immer nur das sah er. Wie dieser Bulle von einem jungen Kerl sich auf die Eckbank zwängte und ihn angrinste, so linkisch und verlegen, als schäme er sich plötzlich für seine idiotische Frisur. Immer nur das! Er sah sich einfach nicht mit einer Waffe in

Weitere Kostenlose Bücher