Merkels Tochter. Sonderausgabe.
füllte sich die Diele. Kripo und ein Team von der Spurensicherung. Niemand kümmerte sich um Merkel, es schien, dass sie ihn und das Kind im Wohnzimmer vergessen hatten. Aber der Junge schrie auch nicht mehr, war offenbar völlig erschöpft und sammelte neue Kräfte, ließ dabei keinen Blick von seinem Gesicht, als warte er nur darauf, dass Merkel die Singerei einstellte, um selbst wieder loslegen zu können. «Lieber Vogel, flieg weiter.»
Er sang nur noch sehr leise und beobachtete dabei, was in der Diele vorging. Die Männer von der Spurensicherung verschwanden rasch in der Küche. Einer der Kripobeamten sprach mit der jungen Polizistin und mit Ulla Fendrich, zu dritt verließen sie das Haus, gingen wohl hinüber in den Bungalow. Zwei andere gingen nach oben, kamen aber schon nach einer knappen Minute wieder zurück, weil sie ohnehin nichts tun konnten, ehe nicht ein Gerichtsmediziner die erste Untersuchung der Leiche vorgenommen hatte und oben die Spuren gesichert worden waren. Die Forensik ließ sich offenbar Zeit. Einer der Kripobeamten telefonierte mit dem gerichtsmedizinischen Institut und machte Druck.
Von seinem Platz aus konnte Merkel bis zur nun offenen Küchentür schauen. Unentwegt zuckte Blitzlicht. Er bemühte sich, nicht hinzusehen, schielte nur aus den Augenwinkeln zu den Männern in den weißen Overalls, die rein- und rausliefen. In der Diele hatten sie ihre Utensilien abgestellt und den Koffer, in dem sie sichergestellte Spuren sammelten. Über ihre Schuhe hatten sie Überzieher gestreift und bei der Tür einen Lappen hingelegt, darauf traten sie sich die Füße ab, wenn sie aus der Küche kamen. Der Lappen half nicht viel, das Blut konnte noch nicht völlig getrocknet sein. Bald war der Fußboden in der Diele voller blutiger Fußabdrücke. Es sah schlimm aus.
Kurz vor fünf kam endlich ein Gerichtsmediziner, ein junger Mann, höchstens Anfang dreißig, übermäßig kompetent wirkte er auf Merkel nicht. Ein paar Minuten später erschien auch die junge Polizistin wieder und nahm ihm endlich das Kind ab, das auf der Stelle wieder mit seinem Gebrüll begann. Die Polizistin holte sich verschiedene Dinge aus dem Bad, dem Kinderzimmer und der Küche, ging damit hinüber in Ulla Fendrichs Bungalow, wo der leitende Ermittler Lukas Heinen sich aufmerksam die Schilderungen der vorerst einzigen Zeugin anhörte.
Ulla Fendrich beschränkte sich in ihrer ersten Aussage auf den Irokesen. Sie hatte ihn zwar nicht gesehen, aber das Klingeln noch im Ohr, dreimal, er klingelte immer dreimal kurz hintereinander. Das war um halb zwölf gewesen, während sie sich ihre erste Zigarette anzündete. Jetzt war die Packung leer, die beiden letzten Zigaretten hatte sie geraucht, während sie vor ihrer Haustür auf die Polizei wartete, nicht zurück in das Haus, zu diesem Alten mit dem stieren Blick, den kauenden Wangenmuskeln und dem Gebrüll. Asoziales Pack. Einen Mörder zum Vater. Wahrscheinlich war das der Grund für Irenes soziales Engagement gewesen. Aber wer sich mit solchen Leuten an einen Tisch setzte, durfte sich nicht wundern, wenn er eines Tages ein Messer im Rücken hatte.
Es hatte niemand von einem Messer im Rücken gesprochen. Ihre Frage, wie Irene umgekommen sei, ignorierte Lukas Heinen mit einem höflichen Lächeln. Doch Ulla Fendrich hatte das Blut gesehen, und ein Messer war für sie – nach einem Gehirntumor – das Schlimmste, was einem Menschen zustoßen konnte.
Ihr wurde übel bei dem Gedanken, dass sie ahnungslos auf ihrer Terrasse gelegen hatte, während nebenan dieser Irre wütete. Lautlos! Irgendwie merkwürdig, dass sie absolut nichts gehört hatte, keinen Hilfeschrei, kein Poltern, nicht einen Muckser von Irene, nur sein Klopfen an eine Tür, dieses weinerliche und zuletzt hysterische Rufen. «Mach keinen Scheiß! Lass mich rein!»
Sie gab sich große Mühe mit der Beschreibung des Irokesen, vergaß weder die Standpauke von Montag zu erwähnen, bei der Irene ihm doch hart zugesetzt hatte, noch den Anruf kurz vor halb zehn, dessen kurzer Wortlaut so schön passte. Nur mit seinem Namen konnte sie nicht dienen.
Den wollte Lukas Heinen anschließend von Merkel hören. Er kam herüber und regte sich auf, weil Merkel mutterseelenallein im Wohnzimmer saß, obwohl dort noch keine Spuren gesichert waren. Schlamperei. Das fand Merkel auch, und mehr konnte er dem leitenden Ermittler nicht sagen.
Seit er seinen Enkel nicht mehr auf dem Schoß wippte, dachte er nur noch darüber nach, dass er das
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