Merkels Tochter. Sonderausgabe.
hatte werden können. Als hätte Ziriak sie in ihrem Blut gebadet oder damit eingerieben, von den Haaren bis zu den Füßen. Er hatte so etwas noch nie gesehen und fand keine Erklärung. Aber er wollte es eigentlich auch gar nicht so genau wissen.
Am Freitagvormittag schlief er ein paar Stunden, war ziemlich erledigt. In seinem Alter steckte man zwei schlaflose Tage nicht mehr so leicht weg. Eine ermordete Tochter vielleicht eher, weil sie ja noch gar nicht so lange und nur für ein paar Stunden in der Woche seine Tochter und die übrige Zeit für andere da gewesen war. Im Grunde hatte ihr Mann Recht. Hundertmal gewarnt, das hatte er doch auch getan. Und wer nicht hören wollte.
Wer es entschuldigte, dass ein harmloser Fahrgast in der Straßenbahn zusammengeschlagen wurde, nur weil er eine läppische Bemerkung über eine billige Armbanduhr machte. Da konnte man nun wirklich nicht behaupten, Ziriak würde den starken Mann nur spielen. Und wenn sie ihm am Montag einmal ordentlich die Meinung gesagt hatte. Es brauchte nicht viel, um einen wie Ziriak in einen Berserker zu verwandeln. Das stand außer Frage. Und nach einer hektischen Woche, vielleicht waren ihr die Probleme einmal über den Kopf gewachsen.
Darüber dachte er nach, während er sich ein Frühstück machte, das war am Freitagmittag. Er war völlig ausgehungert, hatte donnerstags nicht daran gedacht, etwas zu essen, auch nichts mit zum Dienst genommen, nicht mal die Thermoskanne voll Kaffee. Drei große Scheiben Brot mit Wurst und Käse verschlang er, trank vier Tassen Kaffee dazu und blätterte bei der letzten die Tageszeitung durch.
Es gab einen kleinen Bericht im Lokalteil, eine Bluttat in einem Einfamilienhaus am Stadtrand nannten sie es. Ihr Name war abgekürzt, Irene B. Kein Foto von ihr, nur eine Phantomzeichnung von Ziriak, die es nicht mal annähernd traf. Es schien, dass die Sonnenanbeterin nie mehr von ihm gesehen hatte als den Hahnenkamm.
Den ermittelnden Beamten brachte die Phantomzeichnung trotz der mangelnden Ähnlichkeit mit dem Irokesen, wie Ulla Fendrich ihn nannte, eine weitere Aussage, die für ihn als Täter sprach. Um die Mittagszeit, während Merkel den kurzen Bericht las, meldete sich ein Bauarbeiter im Präsidium. Er war am Mittwoch kurz nach zwei Uhr zu dem nahen Supermarkt gefahren, um einen Kasten Mineralwasser zu kaufen. Auf dem Rückweg war ihm ein sehr großer, sehr kräftiger und pitschnasser junger Mann in einem scheckig roten T-Shirt und vor Nässe triefenden Jeans aufgefallen, der im Laufschritt aus dem Rosenweg bog.
Davon hörte Merkel am Nachmittag. Kurz nach vier Uhr kam Kurt Seifert, der erst mittags von Irenes Tod erfahren hatte. So war das, wenn man auf einem der Stühle ganz oben saß. Man bekam längst nicht mehr alles mit, was an der Basis vorging. Und beim Frühstück hatte Kurt nie die Zeit, einen Blick in die Tageszeitung zu werfen. Er nahm sie immer mit ins Büro, schaute dann später rein, wenn er ein paar Minuten Ruhe fand.
Kurt wollte es nicht glauben, sie war doch auch für ihn fast wie eine Tochter gewesen, wenn auch mehr für seine Frau als für ihn. So war er in den ersten Minuten nur dankbar, dass Agnes den Bericht noch nicht hatte lesen können. Er rief den leitenden Ermittler zu sich, verlangte einen ausführlichen Bericht, fand seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt und musste sich zu allem Überfluss auch noch anhören, dass Irenes Vater es bisher nicht für notwendig erachtet hatte, sich im Präsidium blicken zu lassen.
In seiner Wohnung habe man ihn auch nicht angetroffen, erklärte Heinen. Allerdings hatten sie auch erst einen Versuch unternommen, am vergangenen Abend, als Merkel schon im Einkaufszentrum gewesen war.
Heinen erwähnte die anfängliche Irreführung durch den Ehemann. Den halben Donnerstag hatten sie nach Friedmann Gersolek gefahndet, waren schon zweimal bei der unbewohnten Villa gewesen, ehe sich einer erinnerte, dass Gernot Brandes erzählt hatte, seine Schwiegereltern seien tot.
Kurt war mehr als nur erschüttert, er war auch enttäuscht und sehr aufgebracht über Merkels Verhalten und machte sich sofort auf den Weg. Zuerst fuhr er nach Hause und sprach mit Agnes, die weinend zusammenbrach. Kurt musste eine Nachbarin rufen, damit sie ein wenig Beistand hatte, während er sich mit Merkel auseinander setzte.
«Was hast du dir dabei gedacht, Hein?», fiel Kurt über ihn her. «Warum musste ich das auf diese Weise erfahren? Hättest du mich nicht anrufen können? Warum
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