Merkels Tochter. Sonderausgabe.
Gewohnheit vermutlich ebenso gut wie er. Er hätte ihre Tasse stehen lassen, hatte ja auch den Breiteller nicht in die Maschine geräumt. Vermutlich war die Tasse zu Bruch gegangen, als sie vornüber fiel.
Kurt schaute ihn verständnislos an, sah natürlich nicht den geringsten Zusammenhang mit all den Fragen, die er aufgeworfen hatte. «Das weiß ich nicht. Warum? War die Maschine nicht in Ordnung? Hatte sie einen Monteur bestellt?»
«Nein», sagte Merkel und winkte ab. «Vergiss es, war nur so ein Gedanke.»
Kurt grinste freudlos. «So wie der, ob Brandes Provision bekommt? Das glaube ich nicht, er ist ja kein freier Mitarbeiter, wird ein festes Gehalt beziehen. Und dann gibt es keinen Grund für all die Überstunden, die er gemacht hat, nicht wahr? Dann waren es möglicherweise gar keine Überstunden. Darauf wolltest du doch hinaus. Meinst du, er hat ein Verhältnis?»
Als Merkel nur mit den Achseln zuckte, erklärte Kurt: «Er wurde überprüft, war in seinem Büro, bis die Polizei anrief, dafür gibt es ein Dutzend Zeugen. Ob er Provision bekommt, kann ich dir nicht sagen. Danach hat bestimmt keiner gefragt. In den Geschirrspüler hat wahrscheinlich auch keiner geschaut. Aber ich werde Heinen gleich morgen darauf hinweisen.»
«Brauchst du nicht», sagte Merkel, «ist wirklich nicht so wichtig.»
Das war es doch auch nicht, nur ein lächerliches Detail, eine verschwundene, wahrscheinlich zerbrochene Tasse, die nun im Mülleimer lag. Und den hatten Kurts tüchtige Männer vermutlich auch nicht kontrolliert. Ein Schluderhaufen war das.
«Alles ist wichtig», widersprach Kurt. «Das solltest du noch wissen, Hein. Ich möchte, dass du nochmal ins Haus gehst und dich umschaust. Am Mittwoch hast du nicht viel mitbekommen, schätze ich. Aber vielleicht fällt dir etwas auf.»
Merkel hatte am Mittwoch genug gesehen, und zuerst wollte er ablehnen. Doch dann nickte er. Wenn Kurts gute Männer zu dämlich waren, die richtigen Schlüsse zu ziehen, dann wurde es höchste Zeit, dass man ihnen das einmal unter die Nase rieb.
25. Kapitel
Um halb drei am Montagnachmittag fuhr Merkel mit einem Ermittler in den Rosenweg. Nicht mit irgendeinem. Lukas Heinen höchstpersönlich holte ihn ab und nahm bei der Gelegenheit auch die Schuhe in Empfang, die Merkel am Mittwoch getragen hatte. Ein Paar Lederschuhe mit glatten Sohlen, andere trug er nie. Dann chauffierte Heinen ihn durch die Stadt in das Neubauviertel. Und das, ohne ihn während der Fahrt mit Fragen zu belästigen. Auch sonst tat er den Mund nicht auf. Es war direkt angenehm, mit ihm in einem Auto zu fahren.
Die halbe Nacht hatte Merkel sich ausgemalt, wie es wäre, ihr Haus noch einmal zu betreten. Mit dem Bewusstsein, dass sie tot war und er nur noch einmal kam, um einen Blick in den Mülleimer zu werfen. Und wenn er ging, würde sie nicht an der Tür stehen und ihm nachwinken, nicht mehr lächeln und dabei so müde aussehen. Ihm nicht die Gelegenheit bieten, umzukehren, sie in die Arme zu nehmen und ihr beizustehen.
Es würde verdammt wehtun, das wusste er. Diese wunde Stelle im Innern, die überhaupt nicht heilen wollte, nur unnötig reizen. Oder auch nicht unnötig, manchmal konnte ein Schmerz ganz heilsam sein. Während der Jahre hinter Gittern hatte ihm ein Pfarrer von Zeit zu Zeit diesen Blödsinn erzählt. Er hatte sich jedes Mal gefragt, von was er denn geheilt werden könne. Von seiner Frau? Nie im Leben, nur im Tod! Bis dass der Tod euch scheidet! So war es gewesen.
Nun hatte der Tod wieder geschieden, aber diesmal war es nicht so leicht. Auf einen Friedhof gehen und zuschauen, wie sie den Sarg hinunterließen. Damit war es diesmal nicht abgetan, nicht nach all dem, was er versäumt hatte.
Heinen stellte den Wagen ordnungsgemäß am Straßenrand ab, blieb noch einen Moment sitzen und schaute ihn fragend an. Können wir? Das musste er nicht aussprechen. Merkel nickte kurz und im Innern ganz steif in Erwartung dessen, was jetzt jeden Augenblick über ihn herfallen musste. Die Haustür! All die Bilder im Kopf! Wie sie da stand mit ihrem dicken Bauch und diese Stärke ausstrahlte, als könne nichts und niemand ihr etwas anhaben. Er brauchte ein paar Sekunden, um das Bild zurückzuschieben und die Tür als das zu sehen, was sie darstellte, nur ein Pfropfen vor einer Öffnung.
Heinen entfernte das Polizeisiegel, schloss auf und ließ ihn an sich vorbei in die Diele. Es roch ganz anders, als Merkel es gewohnt war. Stickige, aufgeheizte Luft, vermischt mit dem
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