Merkels Tochter. Sonderausgabe.
Haus gewesen war. Die Art der Verletzungen sprach für ein Motiv aus dem persönlichen Bereich. Aber es wäre Kurt entschieden lieber gewesen, man hätte etwas mehr in der Hand gehabt als Ziriaks Fingerabdrücke auf dem Messergriff, das T-Shirt, das er getragen hatte, wäre nicht schlecht gewesen.
«Wenn’s der Sache dienlich ist», sagte Merkel mühsam beherrscht, «ein kleiner Tipp am Rande. Ich weiß nicht, ob es deinen tüchtigen Männern aufgefallen ist, aber da lagen auch Krümel von einem Radiergummi auf dem Tisch. Ziriak hat ständig auf den Fahrschulbogen radiert. Und dass Irene zwischen Montag und Mittwoch den Tisch nicht einmal abgewischt haben soll, damit soll ein einigermaßen guter Anwalt mir mal kommen, dem erzähle ich was anderes.»
Kurt nickte versonnen. «Ziriak muss eine Weile im Wohnzimmer gesessen haben, und zwar alleine. Irene kann nicht bei ihm gewesen sein, sonst hätte die Nachbarin etwas hören müssen. Im Erdgeschoss herumgelaufen ist er auch nicht, da hätte der Dreck auch an anderen Stellen gelegen. Es dauert eine Weile, ehe feuchter Baudreck so trocken wird, dass er aus den Profilen herausbröselt. Wie lange genau, werden sie im Labor wohl feststellen. Und so lange müssen zumindest seine Schuhe an einem Platz gestanden haben.»
In Merkels Hinterkopf sagte sie noch einmal: «Wenn ich gerade gewischt habe, zieht er die Schuhe aus.» Aber das wörtlich an Kurt wiederzugeben, rückte Ziriak in ein zu freundliches Licht. «Sie wird verlangt haben, dass er sie auszieht», sagte er. «Wenn sie dreckig waren. Er ist auf Socken in der Küche herumgelaufen, die Spuren habe ich auch gesehen. Vielleicht haben nur seine Schuhe im Wohnzimmer gestanden, und der Dreck fiel raus, als er sie wieder anzog.»
«Möglich», sagte Kurt, sehr überzeugt klang es jedoch nicht. Er fügte auch sofort hinzu: «Nur stellt man schmutzige Schuhe nicht auf einem Wohnzimmerteppich ab. Man lässt sie bei der Haustür stehen. Aber sie befanden sich längere Zeit auf dem Teppich, daran gibt es nichts zu rütteln. Er muss sie vor dem Mord geholt und neben die Küchentür gestellt haben. Er ist nicht auf blutigen Socken durch die Diele gelaufen, muss die Schuhe also wieder angezogen haben, als er die Küche verließ. Warum? Kümmert es so einen, ob er das Blut seines Opfers durchs ganze Haus trägt?»
Merkel zuckte mit den Achseln und wartete darauf, dass Kurt weitersprach. Das tat er nach ein paar Sekunden. Und Merkel glaubte zu begreifen, worauf er mit diesem Nachmittag abzielte. Mit Speck fing man Mäuse, mit offenen Fragen vielleicht den alten Hein noch einmal. Den Hein, der die halbe Nacht an seinem Schreibtisch über Rätseln und Widersprüchen brüten konnte, bis er die Lösung gefunden hatte. Der damit sich und aller Welt bewies, dass er ein guter Polizist war. Leider vergaß der gute Polizist nur zu oft, dass daheim eine schöne Frau auf ihn wartete. Eine Frau, die es überhaupt nicht vertrug, wenn man sie vernachlässigte.
24. Kapitel
Die Ermittler um Lukas Heinen bastelten immer noch an einer Rekonstruktion des Tathergangs. Inzwischen sahen sie drei Möglichkeiten. Die erste Variante war: Halb zwölf, Ziriak klingelt. Irene lässt ihn rein. Natürlich will sie ihn zur Rede stellen, weil er nicht in der Gärtnerei war. Aber hätte sie das nicht sofort getan? Oder wollte sie ihn erst ein wenig schmoren lassen und schickte ihn deshalb ins Wohnzimmer? Dort beschäftigt er sich eine Weile mit seinen Fahrschulbogen. Er ist nervös, wird zunehmend wütend, weil Irene sich nicht um ihn kümmert. So wäre zu erklären, warum Ulla Fendrich zwischen halb zwölf und zwölf absolut nichts gehört hatte.
Um zwölf beginnt Patrick zu weinen. Irene holt ihn aus dem Bett und schließt sich mit ihm in der Küche ein. Warum, wenn es zuvor nicht ein lautes Wort gegeben hat? Stand Ziriak plötzlich mit dem Messer vor ihr? Das hielt Kurt für nicht unwahrscheinlich, weil Ziriak gerufen hatte: «Mach keinen Scheiß. Lass mich rein.» Warum sollte Irene die Tür einfach wieder geöffnet haben, wenn die Gefahr für sie offensichtlich war?
«Warum! Warum!», brüllte Merkel unvermittelt los. Psychologische Spitzfindigkeiten verabscheute er ebenso wie eigentlich. Warum ein Mensch dieses tat und jenes ließ, konnte der Mensch meist nicht einmal selbst beantworten, dafür war er doch das beste Beispiel. Es war eben so, und es führte zu gar nichts, wenn man alles hinterfragte. Was zählte, waren Fakten!
Kurt hatte sie doch auch
Weitere Kostenlose Bücher