Merkels Tochter. Sonderausgabe.
Gartenstadt angekommen. Er wollte eigentlich sofort zu Irene, aber er hatte ein schlechtes Gewissen und auch ein bisschen Angst. Dass ihm ein Donnerwetter bevorstand, war ihm durchaus bewusst. Und er gehörte nicht zu den Leuten, die Unangenehmes sofort hinter sich brachten. Deshalb schaute er sich zuerst einen Rohbau an, überlegte, was daran noch alles zu machen sei und für welche Arbeiten er wohl in Frage käme. Es wäre nicht schlecht gewesen, Irene ein paar Alternativen zum Beruf eines Gärtners anbieten zu können.
Wie lange er sich in dem Rohbau herumgetrieben hatte, wusste er nicht, aber allzu lange konnte es nicht gewesen sein. Vielleicht eine Viertelstunde. Dann lief er zum Rosenweg, klingelte gewohnheitsmäßig dreimal und stellte erst danach fest, dass die Haustür nur angelehnt war. Er trat ein, die Küchentür war geschlossen, die Kellertür offen. Er sah die Hemden draußen auf dem Trockengestell und nahm an, Irene sei im Keller und habe die Haustür eigens für ihn geöffnet, weil sie ja wusste, um welche Zeit er immer kam.
Sich irgendwie bemerkbar zu machen hielt er für überflüssig. Noch ein paar Minuten Zeit zu haben kam ihm nicht ungelegen. Er setzte sich ins Wohnzimmer und machte sich mit Feuereifer an die Leistung, die er an diesem Tag vollbringen wollte, alle Fragebogen mit richtigen Antworten füllen. Er wollte ihr doch zeigen, was in ihm steckte, und hoffte darauf, sie damit versöhnlich zu stimmen.
Auf die Zeit achtete er nicht. Seit dem unliebsamen Vorfall mit dem Mann in der Straßenbahn, der ihn nach der Uhrzeit gefragt und dann eine gehässige Bemerkung über seine Armbanduhr gemacht hatte, trug er keine Uhr mehr. Und auf die Wanduhr in Irenes Wohnzimmer hatte er nicht geschaut.
Erst als der kleine Patrick zu weinen begann, wurde er stutzig, rief nach Irene und bekam keine Antwort. Natürlich kam ihm das etwas komisch vor, aber an etwas Schlimmes dachte er nicht. Er nahm nun an, Irene sei vielleicht zur Nachbarin gegangen und habe deshalb die Tür aufgelassen.
Er ging nach oben und holte den Jungen aus dem Bett. Mit Patrick auf dem Arm wollte er in die Küche. Noch mehr Pluspunkte sammeln, zeigen, wie sehr er sich bemühte, Irene alles recht zu machen. Doch die Tür ließ sich nicht öffnen, obwohl sie nicht verschlossen war. Oben gab sie nach, als er dagegendrückte. Sie war nur unten blockiert. Er rief noch einmal nach Irene, die Sätze, die Ulla Fendrich gehört hatte, stemmte sich dabei mit seinem gesamten Gewicht gegen die Tür, konnte sie auch aufdrücken, hörte dabei so ein komisches Schaben und sah das ganze Blut.
Beim Tisch lag eine Männerhose auf dem Boden. Und Irene lag hinter der Tür und rührte sich nicht. Er begriff wohl, dass sie tot war, sie hatte ja ein Messer im Rücken. Der Gedanke, die Polizei zu rufen, kam ihm nicht. Patrick weinte wieder. Und er dachte nur daran, den Kleinen zu beruhigen. Vielleicht dachte er auch ganz kurz an seinen Führerschein, den er nun nicht mehr bezahlen konnte.
Mit Patrick auf dem Arm ging er nochmal nach oben und zog dem Jungen im Bad eine frische Windel an. Aber Patrick hatte auch Hunger, hatte er immer um diese Zeit, und all die Breigläser standen in der Küche. Er musste wieder nach unten, zog in der Diele die Schuhe aus, weil es ihm wie ein Frevel erschienen wäre, damit durch Irenes Blut zu laufen.
Dann machte er für Patrick ein Gläschen warm, hob die Hose vom Boden auf und legte sie über einen Stuhl, fütterte das Kind – vor dem Herd stehend, auf den er Patrick setzte, weil er selbst so mit dem Rücken zur Tür stehen konnte und nicht zu Irene hinsehen musste. Anschließend setzte er sich auf einen Stuhl, schaute zum Fenster hinaus und ließ Patrick spielen, bis er wieder müde war. Da zog er seine Schuhe wieder an, brachte Patrick nach oben, wusch ihn, zog ihm frische Sachen an und legte ihn ins Bett, nicht in den Schlafsack, es war doch so warm.
Danach kümmerte er sich um Irene, wieder auf Socken, zog das Messer aus ihrem Rücken und warf es zur Seite. Er drehte sie um, legte den Kopf auf ihre Brust, um völlig sicher zu sein, obwohl er das schon die ganze Zeit war. Dann nahm er sie auf die Arme, schlüpfte in der Diele in seine Schuhe, brachte sie hinauf, legte sie auf ihr Bett und holte die Nelken für sie aus der Vase in der Küche. Anschließend ging er unter die Dusche, und weil Patrick noch nicht schlief, nahm er ihn mit, ging auch noch einmal mit ihm zu Irene, ehe er ihn erneut hinlegte und das Haus
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