Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Titel: Merkels Tochter. Sonderausgabe. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
Vom Netzwerk:
widerlichen Geruch von Blut, für das sich seit Tagen nur noch die Fliegen interessierten. Die Küchentür war geschlossen. Heinen drückte die Klinke nieder und die Tür auf. Er blieb in der Diele stehen, während Merkel die Küche betrat.
    Hier war der Geruch penetrant. Er atmete flach und nur durch den Mund, trat vorsichtig auf. Der Fußboden war schwarz von getrocknetem Blut. Und vorne bei der Tür diese Schlieren. Keine Schleifspuren. Natürlich nicht! Wie konnten sie nur so blöd sein, darüber musste man doch nicht lange grübeln, nur eins und eins zusammenzählen.
    Wenn es eine Weile gedauert hatte, ehe sie gestorben war, musste sie über den Boden gekrochen sein, mit letzter Kraft versucht haben, Hilfe zu finden und am Leben zu bleiben. Die blutigen Handabdrücke an der Wand neben der Tür machten ihn halb wahnsinnig. Er wehrte sich mit aller Kraft gegen die Vorstellung, wie sie da gelegen hatte, nicht mehr fähig, sich aufzurichten und die Klinke zu erreichen, nicht mehr imstande, sich laut genug bemerkbar zu machen.
    Die Nähmaschine stand unverändert auf dem Tisch. Seine Hose hing immer noch über der Stuhllehne. Er ging mit großen Schritten zu dem Stuhl und schaute sich an, wie weit sie mit der Arbeit gekommen war. Beide Säume waren aufgetrennt, die Stoßbänder herausgelöst, sie lagen auf der Sitzfläche des Stuhls. An einem Hosenbein war der Saum neu festgesteckt mit ein paar Nadeln, genäht hatte sie keinen einzigen Stich.
    Dann wandte er sich der Küchenzeile zu, zog die Tür des Geschirrspülers nach unten. Ein Teller stand im unteren Korb, ihr Frühstücksteller, das sah er mit einem Blick. Es war ein schmaler Streifen vertrockneter Marmelade am Rand, wo sie immer das Messer abgelegt hatte. Sie hatte immer zuerst ein Brot mit Wurst und danach eins mit Marmelade gegessen. Im oberen Korb standen ein Glas, ein Unterteller und eine Tasse. Daraus musste ihr Mann am Mittwochmorgen seinen Kaffee getrunken haben.
    Für einen Moment schloss er die Augen, weil er sie wieder vor sich sah, halb gebückt vor dem offenen Gerät stehend, sein Frühstücksgedeck und ihren Teller einräumend. Die Maschine war am Dienstagmorgen ziemlich voll gewesen. Und sie hatte gesagt: «Heute Abend muss er aber laufen.»
    Man hatte sich auf das verlassen können, was sie sagte. Aus dem Glas hatte sie vielleicht am Dienstagabend noch etwas getrunken, den Resten nach zu urteilen Orangensaft.
    Lukas Heinen stand immer noch bei der Tür und schaute mit undurchdringlicher Miene zu ihm herüber. Vielleicht hätte er ihn darauf hinweisen müssen: «Räumen Sie die Spülmaschine aus und lassen Sie von jedem Teil die Abdrücke sichern. Hier fehlt eine Tasse, ist Ihnen das noch nicht aufgefallen?»
    Wenn Lukas Heinen nicht von selbst auf den Gedanken kam, dem einsamen Frühstücksgedeck im Geschirrspüler eine Bedeutung beizumessen, was er rein theoretisch gar nicht konnte, woher hätte er wissen sollen, dass Tasse und Teller nicht von einer Person benutzt worden waren? Es wäre vermutlich nur fair gewesen, ihn aufzuklären. Andererseits hätte er danach fragen müssen, es gehörte zu den Aufgaben eines Polizisten, Fragen zu stellen. Und solange Heinen es für überflüssig hielt, sich nach Alltagsgewohnheiten zu erkundigen, gehörte ihre Tasse allein Merkel.
    Er hatte damals auch den ganzen Tag nur aus einer Tasse getrunken. Das war eine Gemeinsamkeit, die einmal mehr bewies, dass sie durch und durch seine Tochter gewesen war. Einen großen Becher hatte er im Büro gehabt, der fasste das Doppelte von jeder normalen Tasse und war immer voll gewesen. Das war morgens seine erste Handlung, wenn er ins Büro kam, eine große Kanne Kaffee kochen. Die reichte dann knapp über den halben Vormittag. Die Kollegen bedienten sich ja auch. Insgesamt hatte er drei oder vier solcher Kannen am Tag aufgebrüht.
    Viel zu viel Kaffee! War wirklich komisch, wie Kinder den Eltern glichen, Erbmasse! Seine Tochter! Mit ihrem Aussehen, ihrer Beharrlichkeit, ihrer Nase und ihrer Vorliebe für Kaffee. Ihm hatten sie die seine im Knast ausgetrieben. Aber jedes Mal, wenn er sie trinken sah, hatte er sich an die Zeit erinnert, als er selbst noch Becher um Becher leerte, Berichte las, Zeugenaussagen wieder und wieder überdachte.
    Dafür war nun Heinen zuständig. Wenn der es nicht schaffte, aus dem Bild, das die Küche bot, die richtigen Schlüsse zu ziehen, musste man ihm eben einmal zeigen, wie man das machte.
    Merkel richtete sich auf, zeigte mit einer Hand

Weitere Kostenlose Bücher