Merkels Tochter. Sonderausgabe.
der Gärtnerei gewesen, das stand fest. Der Anruf sei aus einer Telefonzelle gekommen, hatte Kurt behauptet.
Wie sie das herausgefunden hatten, war Merkel schleierhaft. Er wusste nichts von den Möglichkeiten moderner Technik im Telekommunikationsbereich. Aber er wusste, dass Ohloffs Telefonanschluss vor einigen Wochen gesperrt worden war, weil er etliche Rechnungen nicht bezahlt hatte. Darüber hatte Ohloff in der Kneipe lamentiert. Er wusste auch, dass Ohloff sie immer hatte anrufen müssen, um zu fragen, ob er kommen durfte. Nur passte der «Mistkerl» nicht dazu.
Sie hätte am Mittwoch ja auch gar keine Zeit gehabt für Ohloff. Die Hose musste gekürzt werden, für halb zwölf stand ihr Ziriak ins Haus. Und vorher war die Drückerin gekommen. Und plötzlich fehlten zwei Tassen! Oder hatte ihr Mann sich am Mittwochmorgen nicht die Zeit genommen für einen Kaffee, stattdessen einen Saft getrunken? Dann wäre das Glas im Geschirrspüler von ihm und die Tasse von der Drückerin. Das konnte natürlich auch umgekehrt sein. Vielleicht hatte die Drückerin den Kaffee abgelehnt, es war ja ziemlich warm gewesen, da nahmen manche Leute lieber eine kühle Erfrischung. Ihm war durchaus bewusst, dass er sich wieder an einer Nichtigkeit festhielt. Nur war es entschieden angenehmer, als darüber nachzudenken, ob sie vielleicht doch mit Ohloff.
Um neun hielt er es nicht länger aus. Was regte er sich auf? Akzeptiere die Tatsachen! Kinder haben von Natur aus zwei Elternteile, etwas wird sie wohl auch von ihrer Mutter gehabt haben. Und Kurt sagte, es habe nichts mit ihrem Tod zu tun. Geh ein Bier trinken, Hein. Es ist vorbei. Und es war nicht die Welt. Lumpige zwei Jahre, genau genommen bloß ein paar Monate. Und wenn sie am Ende nicht besser war als ihre Mutter.
Es war eine milde Nacht und nicht weit bis zu seiner Stammkneipe. Als er um die letzte Ecke bog, hielt er Ausschau nach Ohloffs rotem Kadett, entdeckte ihn jedoch nirgends und wusste nicht, ob er sich darüber wundern oder erleichtert sein sollte.
Nur drei Männer standen vor der Theke und würfelten, montags war es neuerdings oft so ruhig. Er stellte sich an seinen gewohnten Platz direkt vor den Zapfhahn. Als der Wirt ihm das Bier hinschob, fragte er betont beiläufig: «Ist Ohloff schon wieder weg?»
«Der war noch gar nicht hier», antwortete der Wirt. «Den habe ich seit Tagen nicht mehr gesehen. Ich habe mich schon gefragt, wo der sich rumtreibt. Sonst hängt er jeden Abend hier, als ob’s in seinem Viertel keine Kneipen gäbe. Aber jetzt hat er anscheinend was Besseres zu tun, muss sein Zuckertäubchen versöhnen.»
Merkel hob sein Glas und trank einen Schluck. Die Bockwurst in seinem Magen bäumte sich noch einmal auf und gab danach endlich Ruhe. Auch die Ameisen verspritzten keine Säure mehr. Ohloffs Zuckertäubchen hatte er in all dem Elend völlig vergessen. So hätte man Irene nun wirklich nicht bezeichnen können. Er trank noch einen Schluck, ließ das kühle Bier langsam über die Zunge fließen und fühlte sich danach um einiges besser.
«Wann war er denn zuletzt hier?», fragte er.
Der Wirt hielt zwei weitere Gläser unter den Zapfhahn, antwortete prompt und ohne aufzusehen: «Vergangenen
Dienstag, und da hat er einen Deckel gemacht, der sich sehen lassen kann. Er wollte mittwochs kommen und bezahlen, hat er mir in die Hand versprochen. Seitdem warte ich, aber nicht mehr lange, das kannst du mir glauben, Hein.»
Da klang Ärger durch, aber keine echte Wut. Merkel nickte verstehend. «Wie viel kriegst du denn von ihm?» «So an die Neunzig», sagte der Wirt.
«Du meine Güte», sagte Merkel. «Wie hat er denn das fertig gebracht? Er muss ja gesoffen haben wie ein Loch.»
«Nee, gar nicht», erklärte der Wirt. «Er selbst hat kaum was getrunken. Lokalrunden hat er geschmissen, eine nach der anderen. Und Bier war nicht gut genug, Sekt musste es sein. Sekt für jeden, der hier war. Er wollte sogar Champagner, hab ich gar nicht auf Lager. Ich hab ihn gefragt, ob er was zu feiern hat, vielleicht einen neuen Job, könnte er ja gut gebrauchen. Nee, sagt er, er feiert die Scheidung. Ich wusste gar nicht, dass er verheiratet war.»
«War er auch nicht», sagte Merkel.
«Na, vielleicht sein Zuckertäubchen», meinte der Wirt.
«Den hättest du erleben müssen, Hein. So hatte ich ihn jedenfalls noch nie erlebt. Richtig überdreht war er. Na ja, war kein Wunder bei dem ganzen Zeug, das er in sich reingekippt hat.»
«Ich denke, er hat nichts getrunken»,
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