Merkels Tochter. Sonderausgabe.
besucht hat. Er soll auch bei ihr in der Klinik gewesen sein, als sie den Jungen bekam, hat Brandes behauptet. In ihrer Dienststelle weiß aber keiner was davon. Da arbeitet auch niemand, auf den die Beschreibung zutrifft. Von der Nachbarin wissen wir, dass er einen roten Opel Kadett fährt, ein älteres Modell. Und den hat er in den letzten Wochen nicht mehr vor Irenes Haus abgestellt. Er kam durch den Garten.»
Ohloff fuhr einen roten Kadett, eine alte Kiste, die Beschreibung passte auch auf ihn. Und er hatte sie in der Klinik besucht, ihr den bunten Strampelanzug fürs Baby mitgebracht. Aber was Kurt da andeutete, ging Merkel entschieden zu weit. «So ein Blödsinn!», fuhr er auf. «So was hätte sie nie getan, sie nicht. Sie war eine ehrliche Haut, eine wie sie geht nicht fremd.»
Kurt hob beschwichtigend eine Hand, sagte aber gleichzeitig. «Hein, sie war ein Mensch mit sehr viel Gefühl. Das bedeutet noch lange nicht, dass sie so war wie ihre Mutter. Sie hat sich garantiert nicht wahllos irgendwelche Kerle ins Bett geholt. Aber dass sie einen Freund hatte, steht fest. Die Nachbarin hat ein ziemlich eindeutiges Gespräch mitgehört.»
«Was versteht die denn unter eindeutig?», fuhr Merkel erneut auf. «Da muss sie irgendwas in den falschen Hals gekriegt haben.»
Irene hatte ihm schließlich erzählt, worüber sie sich mit Ohloff unterhielt. Ober seine Probleme mit Frauen und über das, was seine Mutter mit ihm veranstaltet hatte. Wenn die Sonnenanbeterin davon zufällig etwas mitgehört hatte, da mochte der Eindruck entstanden sein, es ginge um ganz etwas anderes. Aber Irene hätte sich nicht mit Ohloff eingelassen, mit dem auf gar keinen Fall.
28. Kapitel
Es war sieben vorbei, als Merkel die Tür seines Zimmers hinter sich schloss. Er war so müde wie noch nie zuvor in seinem Leben, fühlte sich wie mit Blei voll gepumpt, ging zum Tisch, setzte sich auf einen der Stühle und stützte den Kopf mit beiden Händen ab, weil er zu schwer war, um ihn nur mit einer Hand zu halten.
Der Karton voller Briefe, den Agnes ihm am vergangenen Nachmittag überlassen hatte, stand ungeöffnet auf dem Schrank. Gestern Abend war nicht mehr die Zeit gewesen, noch etwas zu lesen. Nicht einmal die Fotos, auf denen sie zwölf, dreizehn, vierzehn, fünfzehn und sechzehn gewesen war, hatte er sich genauer angeschaut. Heute hatte er das tun wollen, aber er konnte nicht. Es war zu viel gewesen für einen Tag.
Montag, sein freier Abend! Er hatte nicht die geringste Lust auf ein Bier und Ohloffs dämliches Gequatsche. Hungrig war er auch nicht. Kurt hatte ihn von einem Streifenwagen nach Hause fahren lassen. Unterwegs hatten sie bei einer Imbissbude Halt gemacht. Die Bockwurst war viel zu fett gewesen, lag ihm wie ein Stein im Magen. Aber ihn beschäftigte anderes. All die Fakten, die Kurt aufgezählt hatte, krabbelten ihm durchs Gehirn wie eine Horde Ameisen. In jeden Winkel, jede Ritze, jede Windung spritzten sie ihre Säure hinein.
Den Falschen geschnappt! Dass Ziriak nun doch ein Unschuldslamm sein sollte, konnte er noch wegstecken. Das hatte sie ja auch immer gesagt, Ziriak war ihm eigentlich nie so schlimm vorgekommen. Die versoffene Bodewig schon eher, weil sie willkürlich mit jedem Kerl ins Bett stieg. Und ein Auto, das um elf mit einem Affenzahn zur Straßenecke gebraust war. Vermutlich hatte ihr Beschäler draußen Schmiere gestanden und den Fluchtwagen bereit gehalten. Das schien möglich.
Aber eine gesunde junge Frau, die sich einen Freund zulegte, weil ihr Mann nicht mehr viel Zeit für sie hatte und sie es ab und zu brauchte. Das verkraftete er nicht so leicht. Wenn mich einer tritt, trete ich zurück, hatte sie gesagt, und dass er ihrer Mutter einen Tritt hätte geben sollen. Das hatte nach einem Rauswurf geklungen. Aber es konnte auch heißen, Auge um Auge.
Aber nicht mit Ohloff! Das war völlig ausgeschlossen! Wenn Ohloff seinen alten Kadett in den vergangenen Wochen nicht mehr vor ihrem Haus abgestellt hatte und durch den Garten gekommen war, dann vermutlich nur aus dem einem Grund, dass niemand auf den Gedanken kam, den jetzt alle hatten.
Und wer hatte zwischen neun und halb zehn noch bei ihr angerufen? Darauf war Kurt zuletzt herumgeritten, hatte ihm sogar den ungefähren Wortlaut zitiert, den Ulla Fendrich aufgeschnappt hatte. Etwas von einem Mistkerl, der sich etwas einbildete. Dass sie es ganz genau wissen wolle und Zeit hätte. Das hatte nach Ziriak und der Gärtnerei geklungen. Aber es war niemand von
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