Merlin und der Zauberspiegel
Zweig zu verfangen schien. Die schwere Schlinge mit dem Ballymag machte es nicht
einfacher – so wenig wie der gelegentliche Klauenhieb, der mich traf.
Keuchend war ich endlich neben ihr. »Weißt du, wohin du uns führst?«
Sie duckte sich unter einen duftenden Tannenzweig. »Wenn das der Wald ist, an den ich mich erinnere, liegt das Sommerland
im Westen. Ich hoffe, dass ich bald eine Markierung finde, die ich wiedererkenne.«
»Und ich hoffe, dass wir Wasser finden. Damit ich diese . . .« – ich schlug die vorwitzige Klaue weg – »diese Last loswerde.«
Lange zogen wir durch den Wald und hörten nur das Knirschen unserer Schritte oder das gelegentliche Rascheln eines Eichhörnchens
in den Zweigen. Dann ertönte aus einem Hohlweg unter uns ein dumpfer Schlag, der sich mehrmals wiederholte. Ein Schwert. Oder
eine Axt, die hackte und spaltete. Plötzlich fuhr ein Windstoß durch die Äste und weckte ein misstönendes Stöhnen.
Wir blieben beide wie angewurzelt stehen. Ich fasste Hallia am Arm. »Wir können nichts tun, um diesen Wald zu retten, aber
vielleicht können wir wenigstens einen Baum schützen.«
Sie nickte.
Wir liefen dem Geräusch nach den Hohlweg hinunter und brachen durch das Brombeerdickicht am Hang. Obwohl ich mich anstrengte
mit Hallia Schritt zu halten, ließ sie mich bald zurück. Einmal stolperte ich über einen Ast am Boden und landete auf dem
Bauch. Und auf dem Ballymag, dessen Schreie mich fast betäubten. Ich kam wieder auf die Füße und stürmte weiter bergab.
Gleich darauf war ich auf ebenem Boden und kam an eine schmale grasbedeckte Lichtung. Da stand Hallia, die Arme über der Brust
gekreuzt, vor einem Mann mit einer groben Axt. Seine Ohren waren wie die der meisten Fincayraner oben leicht zugespitzt. Aber
seine Augen waren es, die Vorsicht geboten: Sie funkelten wütend die junge Frau an, die es wagte, sich zwischen ihn und die
hohe knorrige Tanne zu stellen, deren Stamm an der Seite einen gezackten Einschnitt zeigte.
»Weg mit dir, Mädchen!« Die zerlumpte Tunika des Mannes blähte sich, als er die Axt gegen Hallia hob. Hinter ihm stand eine
Frau mit ungekämmten Haaren und müdem Gesicht. Sie hielt ein Baby in den Armen, das erbärmlich weinte und mit dünnen Beinchen
strampelte.
»Weg!«, schrie der zornige Mann. »Wir wollen nichts als ein bisschen Feuerholz.« Drohend hob er die Axt. »Und das werden wir
bald haben.«
»Dafür brauchst du nicht einen ganzen Baum umzuhauen«, widersprach Hallia und rührte sich nicht vom Fleck. »Jedenfalls keinen
alten wie den hier. Außerdem liegt genug Holz auf dem Boden. Hier, ich helfe dir beim Auflesen.«
»Nicht trocken genug zum Anfeuern«, sagte der Mann. »Jetzt geh zur Seite.«
»Ich bleibe«, erklärte Hallia.
Noch atemlos vom Laufen trat ich neben sie. »Ich auch.«
Die Augen des Mannes glühten vor Zorn. Er hob die Axt höher.
»Unser Kind braucht Wärme«, jammerte die Frau. »Und einen Brocken gekochte Nahrung. Seit gestern Morgen hat sie keinen Bissen
gegessen.«
Hallia hob erstaunt den Kopf. »Warum nicht? Wo seid ihr zu Hause?«, fragte sie freundlicher.
Die Frau zögerte und wechselte einen Blick mit ihrem Mann. »Im Dorf«, sagte sie vorsichtig. »Beim Sumpf.«
»Dem verhexten Moor?«, fragte ich und sah rasch zu Hallia hinüber. »Ist das nicht weit von hier?«
Die Frau betrachtete mich seltsam, sagte aber nichts.
»Warum seid ihr nicht in eurem Dorf, wo es auch sein mag?«, fragte Hallia hartnäckig.
Ohne auf den Mann zu achten, der ihr zu schweigen bedeutete, fing die Frau an zu schluchzen. »Weil . . . es besetzt ist. Von
ihnen
.«
»Von wem?«
Der Mann schwang die Axt durch die Luft. »Von den Moorghulen«, antwortete er mürrisch. »Jetzt geht zur Seite.«
In diesem Moment hob der Ballymag den schnurrbärtigen Kopf aus der Schlinge. Beim Anblick der Axt wimmerte er laut und verbarg
sich sofort wieder in den Falten.
»Besetzt?«, wiederholte ich. »Noch nie habe ich gehört, dass die Moorghule so etwas machen.«
Die Frau versuchte dem kleinen Mädchen einen Finger zum Saugen in den Mund zu stecken, aber das Kind stieß ihn weg. »Unser
Dorf grenzt seit hundertfünfzig Jahren an den Sumpf und für uns war das auch neu. Natürlich hören wir jede Nacht, wie sie
schreien und klagen. Lauter als kämpfende Kater! Aber wenn wir sie in Ruhe ließen, haben sie uns auch nicht gestört. Bis .
. . sich das alles verändert hat.«
Ihr Mann machte einen Schritt auf
Weitere Kostenlose Bücher