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Merlin und der Zauberspiegel

Merlin und der Zauberspiegel

Titel: Merlin und der Zauberspiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas A. Barron
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Gleichgewichtzu halten. Der Stamm neigte sich auf eine Seite und verlagerte einen Großteil seines Gewichts auf die freie Wurzel. Auf der
     gegenüberliegenden Seite brach eine andere Wurzel los. Dann noch eine. Und noch eine. Erdklumpen flogen in alle Richtungen.
    Schließlich stand der Baum wieder still. Doch jetzt wuchs er nicht mehr aus dem Boden, sondern stand darauf. Während Hallia
     und ich zuschauten und in die erdbraunen Augen sahen, hob der Baum eine breite Wurzel und machte einen Schritt auf uns zu.
    Wir liefen nicht weg. Wir blieben wie angewurzelte Schösslinge stehen und atmeten tief die feuchte, harzige Luft ein, die
     uns umhüllte wie ein duftender Mantel. Denn wir wussten, dass wir einem der bestgetarnten Geschöpfe von ganz Fincayra begegnet
     waren. Einem Geschöpf, das sich so gut verbergen konnte, dass Jahrzehnte, manchmal Jahrhunderte vergingen, ohne dass eines
     seiner Art je bemerkt wurde. Ein Geschöpf, das in der alten Sprache
nynniaw pennent
genannt wurde – immer da, nie entdeckt.
    Ein wandelnder Baum.
    Mit schweren, schwankenden Schritten kam der wandelnde Baum näher. Hinter ihm funkelte eine Fährte aus feuchtem Gras im Sonnenlicht.
     Endlich, als er fast über uns war, blieb der Baum stehen. Dann wanden sich gemächlich die äußersten Spitzen der Wurzeln leicht
     um unsere Fußknöchel und drückten sich gegen die Haut. Hallia und ich lächelten, wir spürten beide die gleiche Wärme in Beine
     und Körper steigen.
    In tiefen, hauchigen Tönen sang der Baum wieder:
     
    Wir stehen vereint, Freund neben Freund –
    Bau’n auf Vertrau’n –
    Drum zeig ich mich euch.
    Weiß nicht, wer ihr seid, noch woher ihr kommt,
    Doch uns eint ein Band.
    Wir sind jetzt verwandt!
    Ich war in Gefahr, ich habe geweint,
    Ihr habt mich gefunden.
    Jetzt sind wir vereint
    Und unsere Wurzeln verbunden
    Unsere Wurzeln verbunden.
     
    Der letzte Satz schien mit einer Brise aufzusteigen, die sich in den Zweigen einer anmutigen Zeder verfing. Die hängenden
     Äste hoben und senkten sich so sanft wie ein einziger Atemzug. Andere Bäume nahmen den Rhythmus auf und raschelten in der
     Luft. Weitere folgten, bis überall um uns her Zweige rauschten und flüsterten und sich gemeinsam wiegten. Mit der Zeit stimmte
     das ganze Gehölz, anscheinend der ganze Wald in das Jubellied ein.
    Dann veränderte sich die Musik abrupt. Rauere, tiefere Töne waren zu hören; die Zweige begannen zu knarren und zu stöhnen.
     Als die Missklänge lauter wurden, erinnerten sie mich an die ersten Schmerzensschreie, die ich von den Bäumen gehört hatte.
     Aber diesmal hallte das Klagen durch den ganzen Wald, als würde das Land in einer Welle des Leidens ertrinken.
    Vor diesem Hintergrund erhob der wandelnde Baum seine Stimme. Er sang uns ein Lied, das schwer von Kummer war.
     
    Dem Land unsrer Erben naht jetzt das Verderben:
    Trennend, brennend –
    Bis alle sterben.
    Es kommt verstohlen auf leisen Sohlen
    Zerstört jeden einzelnen jungen Baum,
    Den Wald von Saum zu Saum!
    Die jungen Blätter können nicht atmen;
    Die jungen Wurzeln nicht überleben.
    Vergiftet all unsere Sprösslinge.
    Unsere Schösslinge.
    Unsere Schösslinge.
     
    Ich fühlte mich wie nie zuvor zum Geist dieses Baums hingezogen – und zu diesen vielen Schösslingen voll Sehnsucht nach Leben,
     deren Qual er teilte. »Was ist dieses Verderben?«, rief ich. »Kann es nicht aufgehalten werden?«
    Ganz plötzlich wurde der Baum starr. Überall im Wald verstummten die stöhnenden Zweige, während ein neues Geräusch, ein anhaltendes
     Dröhnen, aus der Ferne zu hören war. Es schwoll immer mehr an, so rhythmisch wie eine große Trommel erschütterte es den Boden
     und die Bäume, die darin verankert waren. Ob der Lärm von irgendwo im Wald kam oder von irgendwo dahinter, war nicht auszumachen,
     aber er kam deutlich näher. Schnell.
    Der wandelnde Baum bewegte sich wieder. Seine Wurzeln zogen sich von unseren Beinen zurück, bogen sich scharf nach unten und
     gruben sich in den Boden. Dabei vibrierten sie und summten in traurigen Tönen, die den Schlussvers aus dem Lied des Baums
     wiederholten.
Unsere Schösslinge. Unsere Schösslinge.
Im nächsten Momentschlossen sich die schmalen Augen des Baums hinter Rindenlidern. Mit ihnen verschwand jedes Anzeichen, dass dieser Baum etwas
     anderes sein könnte als irgendeine Tanne, ein Baum unter vielen.
    Inzwischen wurde das lärmende Dröhnen lauter. Zweige und Rindensplitter lösten sich durch die Schwingungen und

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