Merlin und der Zauberspiegel
Ich rollte mich in der Pfütze herum, während das Geschöpf – was es auch
sein mochte – meinen Arm hinaufkroch.
Schließlich bekam ich es an der Schulter zu fassen. Mit aller Kraft drückte ich es durch die Tunika hindurch. Etwasplatzte – und das Geschöpf schrumpfte wie ein leerer Blasebalg. Klebriger Schleim rann mir den Arm hinunter. Als ich den Arm
schüttelte, klatschte etwas Dunkles in die Pfütze. Ich wandte mich ab, ich hatte keine Lust, es näher zu betrachten.
»Menschmonster«, knurrte die Stimme in meiner schlammbespritzten Schlinge, »du bist ehrlichwahr ein Plumpatsch.«
»Ballymag«, erwiderte ich, »du bist ehrlichwahr ein Jammergrein.«
Hallia schüttelte den Kopf. »Still, ihr beide.« Sie zog ein Büschel Riedgras aus meinen Haaren. »Es wird dunkler. Und das
– oh, horcht.«
Ein dünnes, unregelmäßiges Heulen begann in der Ferne. Zugleich überflutete uns ein deutlich stärkerer Gestank, so ekelhaft
wie der von faulendem Fleisch. Das Geheul hielt ununterbrochen an, es drückte Schmerz aus und ein anderes Gefühl, etwas wie
Verzweiflung. Noch während Hallia und ich zurückschreckten, kamen weitere Stimmen dazu – plärrend, weinend, stöhnend. Die
Stimmen schwollen zu einem grässlichen Chor an.
Der Ballymag streckte den Kopf aus der Schlinge. »Es sind . . . es sind . . . die Mo-mo-moorghule«, stotterte er. Die Fettrollen
um seinen Hals bebten. »Sie kommen und mordtöten.«
Wir standen bis zu den Knien im trüben Wasser, während das qualvolle Klagelied lauter wurde. Zugleich verblassten die letzten
Schimmer des Tageslichts. Dann tauchte nicht weit entfernt ein einzelner Lichtfleck auf, der gespenstisch über das Moor schwebte.
Er pulsierte schwach und flackerte wie ein verletztes Auge. Dann erschienein weiteres Licht, und noch eins und noch eins. Langsam, langsam kamen sie näher, auf uns zu.
»Ohweh, ohweh . . .«, stöhnte der Ballymag. »Schnellfix! Folgt dallirasch!«
Er sprang aus der Schlinge und klatschte in den Sumpf. Sofort schwamm er davon, sein breiter Schwanz schlug und alle seine
Arme wirbelten. Hallia und ich stürzten ihm nach, während die gespenstischen Lichter uns einkreisten.
Wir rannten durch die matschigen Pfützen. Dürre, krumme Äste rissen an unserer Kleidung; dicker Schlamm saugte an unseren
Füßen. Die ranzige Luft stach in unsere Kehlen und Augen. Doch wir mühten uns dicht hinter dem Ballymag zu bleiben. Und den
Moorghulen voraus.
Plötzlich wurde der Boden trockener, allerdings auch weniger fest. Wie ein Teppich über einem Bergsee schien er ebenso Wasser
wie Land zu sein, er wogte und zitterte bei jedem Schritt. Ich stolperte und fiel beinahe, rannte aber weiter. Unsere Füße
und die Klauen des Ballymags schlugen auf den welligen Boden. Wir und unser Gefährte keuchten im Takt.
Plötzlich verstummte der Ballymag. Er war nirgendwo zu finden! Wir blieben japsend stehen und waren ratlos. War er ohnmächtig
geworden? Gefangen?
»Wo bist du?«, rief ich.
Keine Antwort.
Ich drehte mich zu den schwebenden Lichtern um, die unstet ringsum schwankten. Jetzt waren sie fast bei uns. Das klagende
Geheul wandelte sich zu weit hallendem, grobem, krächzendem Gelächter. Die Stimmen wurdenimmer höher, als wollten sie uns wie eine böse Welle ertränken.
Hallia und ich stürmten weiter, wir stolperten auf dem unebenen Boden. Die Lichter waren jetzt so nah, dass ich meinen Schatten
sehen konnte, der vor mir über den bebenden Grund floh. Gerade als die Moorghule uns zu packen schienen, erreichten wir einen
dunklen Tümpel. Wir wollten ihn durchqueren – und versanken augenblicklich in tiefem, sirupartigem Schlamm. Wir konnten nicht
mehr aufschreien, nicht mehr schwimmen. Der Morast schloss sich über meinem Kopf, bevor mir auch nur ein letzter Atemzug vergönnt
war. Ich keuchte und würgte, als der Modder mir in Nase und Mund drang.
Meine letzten Gedanken brannten vor Zorn und Reue. Weil auch Hallia ertrinken würde. Weil mein Schwert nie seine Bestimmung
erfüllen würde. Weil ich, nachdem ich so weit gekommen war und so viel erstrebt hatte, in einem vergessenen Tümpel in einem
verlassenen Moor alles verlieren würde.
X
DAS WORT
S chlamm – rundum, überall. Je mehr ich dagegen ankämpfte, umso enger umschloss er mich, begierig mich ganz zu verschlingen.
Bald spürte ich nur noch ihn, wie er über meine Haut glitt, meine Ohren füllte, in meine Nasenlöcher drang. Schlamm, dicker
als jede Decke,
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