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Merlin und die Feuerproben

Merlin und die Feuerproben

Titel: Merlin und die Feuerproben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas A. Barron
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einem Loch voll Treibsand ein Festmahl
     finden.«
    Ein verzweifelter Seufzer war ihre einzige Antwort. »Im Moment bin ich zu müde, um dich von irgendetwas zu überzeugen. Morgen
     früh, wenn du willst, werde ich dich aufklären.«
    Ich hätte ihr gern geantwortet, aber ich hielt den Mund. Jetzt mussten wir uns ausruhen. Ich suchte eine bequemere Stelle
     für meinen Rücken am Felsen. Mich aufklären, von wegen. Wie konnte sie nur so selbstsicher sein?
    Noch während ich im Stillen über Rhia murrte, dehnte ich mein zweites Gesicht über die ganze Insel aus. Nichts regte sich;
     nichts kam näher. Die Nachtstunden vergingen mit den ständigen Missklängen aus dem Sumpf. Doch an diesem Ufer gesellte sich
     niemand zu uns. Ich fragte mich, ob der Felsblock vielleicht irgendwie Besucher abschreckte, obwohl ich mir nicht denken konnte,
     warum. Aber auf unheimliche Art schien er mehr zu bedeuten, als ihm anzusehen war.
    Vielleicht hatte es etwas mit der stinkenden Luft über dem Sumpf zu tun oder mit meiner Erschöpfung. Oder vielleicht kam es
     durch irgendeinen stillen Zauber des lebenden Steins. Was auch immer die Ursache sein mochte, erst als ich spürte, wie Rhia
     heftig an meinem Fuß zog, wurde mir klar, dass ich von einem Mund aus Stein geschluckt worden war.
    Aber da war es zu spät.

VIII
IM STEIN
    E rstens Stille.
    Kein Wind wispert, keine Sumpfstimmen hallen, keine Gase brodeln. Kein Schreien, Schwatzen, Zischen. Kein Klopfen meines lebendigen
     Herzens. Kein Hauchen meines Atems.
    Kein Geräusch. Überhaupt kein Geräusch. An welches Geräusch kann ich mich erinnern?
    Schnell! Ich darf es nicht vergessen. Der Fluss, den wir heute Morgen überquerten? Ja! Ich hörte ihn lange, bevor ich ihn
     sah. Er versprühte sowohl Geräusche wie Dunst, während er zwischen den Ufern hinunterrauschte. Eis, von den ersten Fingern
     der Morgenröte berührt, krachte und barst. Wasser strömte und plätscherte, trommelte und gurgelte, sang wie ein Chor von Brachvögeln.
    Dennoch   … diese Stille, so vollständig, so umfassend, überwältigt allmählich den Gesang. Mit jedem Augenblick schwindet das Geräusch
     des Flusses weiter in die Ferne. Stattdessen höre ich die Stille in all ihrem Reichtum. Sanft genug, um sich hineinzuschmiegen,
     tief genug, um darin zu schwimmen. Kein Klirren mehr, keine Misstöne. Nur Stille. Wer könnte sich mehr wünschen als den Herzschlag
     der Leere zu hören?
    Ich wünsche mir mehr! Ich muss um die Erinnerung kämpfen. Das muss ich. Doch alle Geräusche, dieich noch weiß, sind so vereinzelt, so merkwürdig weit weg.
    Zweitens Dunkelheit.
    Das Licht ist verschwunden. Oder hat es nie existiert? Oh doch! Ich kann es mir immer noch zurückrufen, immer noch seinen
     Schein sehen. Leuchtend. Ewig. Das erste Licht auf den Wolken, strahlende Schritte, die den Himmel erklimmen. Ein Schimmer
     am Horizont, eine Flamme an der Kerze, ein Flimmern um den Stern. Und eine andere Art Licht, das in den Augen strahlt: wenn
     Rhia lacht, wenn Mutter hilft, wenn Cairpré forscht.
    Doch die Dunkelheit zerrt an mir, verlockt mich zu Schlaf, zum Loslassen. Warum um eine flackernde Flamme kämpfen? Sie verlöscht
     so leicht, kehrt in die Dunkelheit zurück. So anmutig folgt unaufhörlich die Nacht dem Tag. Dunkelheit ist alles; alles ist
     Dunkelheit.
    Licht! Wo bist du? Ich bin so hilflos   … so verängstigt   …
    Drittens Reglosigkeit.
    Solange ich mich bewegen kann, bin ich lebendig. Solange ich fühlen kann – den Wind an meinem Gesicht, die Erde unter meinen
     Zehen, das Blatt zwischen meinen Fingern. Doch alles, was ich jetzt fühle, ist Härte. Überall. Sie kommt näher, zerquetscht
     mich. Bewegt euch, Finger! Bewege dich, Zunge! Sie reagieren nicht. Sie existieren nicht. Verschwunden sind meine Knochen.
     Mein Blut. Mein Fleisch. Zu nichts zermalmt.
    Ich kann mich nicht bewegen, kann nicht fühlen, noch nicht einmal atmen. Was von mir noch übrig ist, wurde zusammengedrückt
     und verdichtet. Ich sehne mich danach, zu schnellen wie eine Peitsche, mich zu drehen wie ein Blatt. Doch noch mehr wünsche
     ich mir zu ruhen. Still zu sein.
    Jetzt höre ich nur Stille. Ich sehe nur Dunkelheit. Ich fühle nur Reglosigkeit. Ich fange an zu akzeptieren, zu verstehen,
     zu werden. Ich bin fest und stark. Ich habe die Geduld eines Sterns. Ich bin alterslos, unnachgiebig.
    Denn jetzt bin ich Stein.
    Beinah. Denn etwas bleibt von diesem früheren Ich, diesem früheren Selbst. Ich kann es nicht berühren

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