Merlin und die Feuerproben
so gemordet wurde. Ohne eine Möglichkeit zu fliehen.«
Ich runzelte die Stirn. »Ich habe kein Mitleid mit ihnen. Sie wären nur aufgewachsen, um zu sein wie ihr …« Ich vollendete den Satz nicht, als mir klar wurde, was ichgerade sagen wollte.
Wie ihr Vater.
Hatte Urnalda das nicht über mich gesagt?
Eremon erhob seine volltönende Stimme. »Ich habe Mitleid mit allen. Sie haben sich nicht ausgesucht, als Drachen geboren zu
werden, sie wollten nur geboren werden.« Er machte eine Pause und beobachtete mich. »Weißt du, wer sie getötet hat?«
»Ein Mensch.«
Seine Ohren zitterten wieder. »Und wer war dieser Mensch?«
Ich schluckte. »Valdearg glaubt, dass ich es war. Weil ich von seinem größten Feind abstamme – Tuatha. Aber ich war es nicht.
Ich schwöre es.«
Er runzelte die Stirn, während er mich lange musterte. Schließlich erklärte er: »Ich glaube dir, junger Falke.« Er holte tief
Luft. »Und ich werde dir helfen.«
»Eremon!«, rief seine Schwester, die jetzt alle Unschlüssigkeit verloren zu haben schien. »Das kannst du nicht machen!«
»Wenn er die Wahrheit spricht, sollte ganz Fincayra ihm zu Hilfe eilen.«
»Aber du weißt es nicht!«
»Ich weiß genug.« Er rieb sich das kräftige Kinn. »Doch ich wollte, ich wüsste noch eins: Wo die Dracheneier in all diesen
Jahren versteckt gewesen sind. Wenn wir finden würden, was noch von ihnen übrig ist, könnten wir vielleicht ein Zeichen entdecken.
Etwas, das uns verrät, wer der wahre Mörder ist.«
»Daran habe ich auch gedacht«, sagte ich. »Aber die Reste der Eier könnten überall sein! Wir haben keine Zeit zum Suchen.
Außerdem müssen wir nicht den Mörderfinden – sondern eine Möglichkeit, Valdearg aufzuhalten.«
Da kam mir eine Idee. Eine verzweifelte, ausgefallene Idee. Und mit ihr ein überwältigendes Gefühl der Bedrohung. »Eremon!
Ich weiß, was ich in der Zeit, die mir bleibt, zu tun habe. Es ist eine törichte Hoffnung, aber eine andere fällt mir nicht
ein.« Ich schaute ihm in die Augen. »Und es ist viel zu gefährlich, um jemanden zu bitten mit mir zu gehen.«
Hallias finsteres Gesicht hellte sich auf. Eremon betrachtete mich ernst.
»Mein Großvater triumphierte im Kampf mit Valdearg vor vielen Jahren nur mit Hilfe eines Gegenstands von großer Kraft, das
ist eins der wenigen Dinge, die ich darüber weiß. Es war ein Anhänger – voller Magie –, der als der Galator bekannt ist.«
Beide braunen Augenpaare starrten mich an.
»Eine Zeit lang trug ich ihn selbst um den Hals. Doch ich lernte sehr wenig über seine Geheimnisse.« Ich ließ die Schultern
hängen beim Gedanken, dass ohne meine Kräfte der Zauber des Galators nutzlos für mich sein könnte. Und doch … es war wenigstens eine Chance. Ich richtete mich wieder auf. »Irgendwie muss ich ihn zurückbekommen! Wenn es mir gelingt,
könnte er noch einmal den Drachen besiegen.«
»Wo ist der Anhänger jetzt?«, fragte Eremon.
Ich biss mir auf die Lippe. »Bei der Hexe Domnu – auch dunkles Schicksal genannt. Sie lebt am entlegenen Ende des verhexten
Moors.«
Hallia atmete scharf durch die Nase ein. »Dann solltest du am besten … einen anderen Plan machen. Du kannstunmöglich in nur sechseinhalb Tagen dorthin und wieder zurück wandern.«
Bei ihren Worten zuckte ich zusammen. »Du hast Recht. Es wäre schon schwierig genug, wenn ich laufen könnte wie ein Hirsch.«
Eremon warf den Kopf zurück. »Aber das kannst du.«
Bevor ich fragen konnte, was er meinte, drehte er sich um und lief mühelos übers Gras. Er sprang schneller und schneller,
bis seine Beine zu einer einzigen Bewegung verschwammen. Er beugte sich vor, bis sein breiter Rücken fast waagrecht war und
die Arme den Boden berührten. Die Muskeln seines Nackens wölbten sich, sein Kinn sprang vor. Dann verwandelten sich zu meinem
Erstaunen seine Arme in Beine, die über den Boden stampften. Seine Tunika schmolz weg und wurde durch Fell ersetzt, während
seine Füße und Hände Hufe wurden. Aus seinem Kopf wuchs ein großes Schaufelgeweih, fünf Sprossen an jeder Seite.
Er wendete und spannte die mächtigen Keulen, während er übers Feld setzte. Im nächsten Augenblick stand er wieder vor uns,
ganz und gar ein Hirsch.
XIV
EREMONS GESCHENK
E rstaunt schaute ich in die tiefen braunen Augen des Hirschs. »Du warst es also, der mich gerettet hat!«
Eremon neigte den Kopf mit dem majestätischen Geweih. »Das stimmt«, erklärte er und seine
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