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Merlin und die Feuerproben

Merlin und die Feuerproben

Titel: Merlin und die Feuerproben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas A. Barron
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Hatte der Nebel sie ganz geschluckt? Endlich
     – da waren sie. Ich lief hinüber und pflückte eins der zusammengerollten, behaarten Blätter. Steif lief ich zu den anderen
     zurück.
    »Hier«, keuchte ich und zeigte das Blatt in meiner Hand. »Das muss ich um deinen Zahn wickeln.«
    Hallia wimmerte, sie zitterte am ganzen Körper.
    Ich redete ihr gut zu. »Es wird helfen   … jedenfalls sollte es das.«
    Sie stöhnte ängstlich. Dann, als Eremon sanft ihrenHals berührte, öffnete sie den Mund, hob die Zunge und zeigte den blutigen Zahn. Vorsichtig, sehr vorsichtig fuhr ich mit
     der Fingerspitze darüber. Plötzlich spürte ich einen winzigen Stein, der in einem Riss saß. Ich zog ihn heraus. Obwohl Hallia
     wieder aufschrie, hielt sie den Mund so lange offen, dass ich das Blatt über ihren Zahn und Gaumen wickeln konnte. Gerade
     als ich fertig war, riss sie sich los.
    »Das sollte genügen.« Es klang nicht ganz so zuversichtlich, wie ich mir wünschte.
    Langsam schloss Hallia die Lippen. Sie schauderte und legte den Kopf von einer Seite zur anderen. Ich war überzeugt, dass
     sie das Blatt gleich ausspucken würde.
    Doch sie spuckte nicht. Stattdessen schaute sie mich aus ihren braunen Augen an. »Das schmeckt scheußlich. Wie faulige Eichenrinde
     oder noch schlimmer.« Sie zögerte. »Trotzdem   … es scheint ein bisschen   … besser zu werden.«
    Eremon nickte. »Wir sind dankbar, junger Falke.«
    Ich war plötzlich scheu wie ein Reh und wandte mich ab. »Nicht so dankbar, wie ich dafür bin, ein Hirsch gewesen zu sein –
     wenigstens eine Zeit lang.«
    »Du wirst bald wieder auf Hufen springen. Und oft, wenn der Zauber anhält.« Er sah zu seiner Schwester hinüber, die mit der
     Zunge an dem umwickelten Zahn spielte. »Aber jetzt sind wir froh, dass du Finger hast.«
    Hallia kam einen Schritt näher. »Und   …«, sie atmete langsam ein, »Wissen. Wirkliches Wissen. Ich dachte, die Männer und Frauen hätten die Sprache des Landes –
     der Pflanzen, der Jahreszeiten, der Steine – für die Sprache der geschriebenen Worte aufgegeben.«
    »Nicht alle Männer und Frauen.« Ich klopfte auf das Heft meines Schwerts und grinste schief. »Glaub mir, ich habe einiges
     von Steinen gelernt.« Dann dachte ich an Cairpré, der immerzu Schätze zwischen Buchdeckeln fand. »Das geschriebene Wort hat
     allerdings seine eigenen Vorzüge.«
    Sie betrachtete mich skeptisch.
    »Es ist wahr«, erklärte ich ihr. »Wenn man eine Stelle in einem Buch liest, dann ist es, als würde man – nun, Fährten folgen.
     Nein, nein – das stimmt nicht. Eher, als würde man die
Bedeutung
der Fährten finden. Wohin sie gehen, warum sie flüchtig oder ungleich sind, wie sie sich von denen des Vortags unterscheiden.«
    Hallia sagte nichts mehr, obwohl sie die Ohren spitzte, als sei sie fasziniert. In diesem Moment drehte sich der Wind. Im
     Nebel vor uns öffnete sich eine Lücke und ließ ein paar leuchtende Lichtstrahlen durch. Sie streiften das Seegras, so dass
     es aussah, als würde es von innen leuchten.
    Hallia seufzte. »Wie schön.«
    Ich nickte.
    »Gefällt dir nicht«, sagte sie leise, »wie sich der Nebel bewegt? Wie ein Schatten aus Wasser.«
    Ich hörte auf zu nicken. »Ich habe das Sonnenlicht beobachtet, nicht den Nebel. Wie es die Binsen färbt und alles, was es
     berührt.«
    »
Hmmm.
« Ihre Ohren zuckten. »Du hast also das Licht gesehen, während ich die Bewegung sah?«
    »Es scheint so. Zwei Seiten des gleichen Bildes.«
    Eremon gab einen kehligen Laut von sich, der fast wie Lachen klang. Nebelschwaden schlängelten sich durchsein Geweih. Plötzlich drehte sich der Wind wieder. Der Hirsch erstarrte, seine Nüstern bebten.
    Hallia kaute nervös an dem Blatt. »Dieser Geruch   … was ist das?«
    Eine ganze Weile gab er keine Antwort, regte sich nicht. Schließlich senkte er das Geweih. »Es ist der Geruch des Todes.«

XVI
NOCH UNGEBORENE TRÄUME
    V orsichtig näherten wir uns dem Ufer des jagenden Flusses. Stromschnellen klatschten und stampften. Nebelschwaden, von der
     sinkenden Sonne rot getönt, wanden sich um unsere Beine und kräuselten sich wie duftige Schnüre. Die Erde wurde weich und
     rutschig unter meinen Füßen – und den Hufen der anderen.
    Oben am Damm blieb ich stehen und sah zu, wie Eremon und Hallia hinunterstiegen. Trotz des unsicheren Bodens bewegten sie
     sich so anmutig wie zwei Tautropfen, die ein Blütenblatt hinunterrollen. Anders als sie stand ich aufrecht und senkrecht –
    

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