Merlin und die Feuerproben
sie nach verfrühtem Tod. Ohne daran zu denken welche Gefahr draußen lauern mochte, rollte ich durch den Vorhang
aus nassem Gras.
XVIII
NEBELSCHLEIER
I ch rollte den glatten Damm hinunter, rutschte über den Schlamm und kam am Rande des Flusses zum Halten. Das brausende Wasser
dröhnte in meinen Ohren. Kalter Schaum nässte mein Gesicht. Wieder schlangen sich dicke Nebelschwaden um mich.
Vorsichtig suchte ich das gegenüberliegende Ufer nach einem Zeichen von Valdearg ab. Oder von meinen Gefährten. Ich sah nichts
als die Reste der Eier – zerbrochene Schalen, verklumpter Inhalt und zerhackte faulende Fleischfetzen. Die wirbelnden Nebelsäulen
und der Fluss selbst waren alles, was sich bewegte.
Voller Bedauern schaute ich zurück zu der Höhle, die den letzten Nestling barg. Den letzten Nachkommen Valdeargs. Hatte der
Mörder dieser Geschöpfe den schlafenden Drachen der verlorenen Länder und seinen Zorn wecken wollen? Und hatte er auch gewollt,
dass einem Menschen – ob nun mir oder einem anderen – die Schuld zugeschoben wurde? Das ließ sich nicht feststellen. Vielleicht
hatte der Mörder nichts weiter beabsichtigt als Valdeargs Nachkommen zu töten.
Aber warum? Um die Nestlinge auszurotten? Oder um Feuerflügel zu wecken und auf seinen verheerenden Feldzug zu schicken? Aber
das ergab keinen Sinn. Es sei denn … vielleicht war der Mörder ein Feind der Zwerge, jemand, der hoffte, Valdearg würde seine ganze Wut anihnen auslassen. Oder ein Feind vom Volk meines Vaters, der Männer und Frauen Fincayras. Und es gab viele solcher Feinde,
das wusste ich nur zu gut. Stangmars Regierungszeit war eine schreckliche Narbe auf dieser Insel! Eine Narbe, die nicht verheilen
wollte.
Ich kniete mich an den Wasserrand, tauchte die Hände in den kalten Strom und wusch mir das schlammbeschmutzte Gesicht. Schließlich
grub ich den Schlamm aus der Schwertscheide. Nachdem ich mehrere dicke Klumpen herausgeholt hatte, ließ sich die Klinge endlich
wieder ziehen.
Ich fuhr mit den Fingern über den silbernen Griff, der im Gischt glänzte. Vielleicht hasste der Mörder nicht nur die Zwerge
oder die Männer und Frauen, sondern alles Leben auf Fincayra. Vielleicht war er jemand, dem Valdeargs Terror wirklich nützte.
Jemand wie … Rhita Gawr.
Ich trocknete mir mit dem Ärmel das Gesicht ab und überlegte. Nein, nein, das konnte nicht sein. Rhia hatte mich zu Recht
gescholten, es war sinnlos, neue Feinde zu erfinden. Ich hatte so schon genug Ärger. Und doch … wer sonst außer Rhita Gawr wäre gerissen genug, die Dracheneier zu finden, und grausam genug, sie bei der Geburt zu zerstören?
Etwas flog über meinen Kopf und verdunkelte den Nebel. Valdearg! Er war zurückgekommen!
In diesem Moment durchschnitt ein hoher, durchdringender Schrei die Luft. Das war, ich wusste es sofort, nicht der Schrei
eines Drachen. Dieses Kreischen hatte mich schon einmal überfallen. Ich konnte es nicht verwechseln.
Es war der Schrei eines Kreelix.
Ich schaute gerade zum Himmel, als die fledermausähnlichen Flügel aus dem Nebel auftauchten. Das Kreelix flog direkt auf mich
zu, es zeigte die tödlichen Fänge. Ich fuhr mit der Hand an mein Schwert – und hielt auf halbem Weg inne.
Was nützte mir meine Waffe? Ich konnte nicht vergessen, wie ich das letzte Mal diese Fänge gesehen hatte, dort unter der klingenden
Eberesche. Der Schock. Und dann nichts als Schmerz. Obwohl ich keine Zauberkraft mehr hatte, war mir die Angst geblieben.
Das Kreelix stürzte herab, das blutrote Maul war aufgerissen. Drei tödliche Fänge griffen nach mir. Wieder gellte ein Schrei
durch den wirbelnden Nebel. Die Klauen waren bereit mich in Fetzen zu reißen.
Plötzlich schoss eine dunkle Gestalt aus dem Nebel jenseits des Flusses. Eremon! Mit großen Sätzen überquerte er den Fluss
und sprang dem Kreelix direkt in den Weg. Mitten in der Luft krachten sie dröhnend zusammen. Ich sprang zur Seite, als sie
auf den Damm herunterstürzten. Schlamm spritzte in alle Richtungen.
Die beiden taumelten in den Fluss. Eremon kam zuerst auf die Beine und senkte das Geweih zum Angriff. Doch das Kreelix holte
kreischend aus und riss dem Hirsch mit den Klauen die Flanke auf. Trotzdem drang Eremon auf das Monster ein und durchbohrte
einen seiner Flügel. Rotes und violettes Blut färbte die schäumenden Wellen.
Ich zog mein Schwert – da blitzte scharlachrotes Licht auf. Über dem Klirren meiner Klinge hörte ich Eremons
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