Merlin und die Fluegel der Freiheit
unserer Vision heraus.«
XVII
SAMEN
E inige Stunden später blieb die Zwergengruppe, die mich durch das Labyrinth der Untergrundtunnel führte, plötzlich stehen.
Ihr leiser rhythmischer Gesang, der uns seit dem Abschied von Urnalda begleitete, hörte ebenfalls auf. Doch mein leidenschaftlicher
Groll dauerte an: Warum musste ich so viel Zeit mit Marschieren verlieren? Warum hatte sie mich nicht durch die nächste Tür
gehen lassen können, worum ich sie gebeten hatte?
Selbst jetzt standen wir nicht vor einer Tür, sondern vor einer dunklen Steinplatte. Das schwankende Fackellicht zeigte ein
vielfältiges Runenmuster auf der Oberfläche – Runen, die Symbole des Zauberns darstellten. Ohne ein Wort stießen mich zwei der untersetzten, bärtigen Burschen grob zu
der Platte. Mein Stock verfing sich an einem Felsrand auf dem Boden. Ich stolperte vorwärts und hob den Arm vors Gesicht für
den Fall, dass ich gegen den Stein krachte.
Aber ich fiel nicht dagegen. Ich fiel
durch
und landete mit dem Gesicht auf hartem Boden.
Ich rollte herum und spuckte ein paar Stängel und gefrorene Blätterstückchen aus. Das erste Sonnenlicht, das ich seit Tagen
spürte, wärmte mir den Nacken, obwohl die Luft immer noch winterlich erschien. Mit einer Mischung aus Zorn und Bewunderung
betrachtete ich den anscheinend massiven Steinblock, aus dem ich gerade getaumelt war.Urnalda hatte tatsächlich außergewöhnliche Fähigkeiten. Praktisch niemand würde die Tür in diesem Steinblock wahrnehmen, geschweige
denn eine Möglichkeit finden, sie zu öffnen.
Niemand außer Rhita Gawr. Er würde zweifellos kurzen Prozess mit all ihren geheimen Eingängen und raffinierten Abwehranlagen
machen. Und er würde ebenso gnadenlos mit ihr umgehen, wie sie es mit Shim geplant hatte.
Was genau hatte sie gemeint, als sie schwor, dass sie für den Riesen bereit sei, falls er je zurückkommen werde? Irgendeine
Falle erwartete ihn – so viel war sicher. Aber von welcher Art? Eine riesige Grube? Ein Haufen speziell präparierter Speere?
Ich schüttelte den Kopf. Wenn Urnalda nur meiner Warnung mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätte als ihrem Zorn auf Menschen und
Riesen, dann wäre es um alle einschließlich ihrer Untertanen besser bestellt.
Ich schaute mich um und sah einige niedrige, flache Hügel mit wenigen schiefen Bäumen am Horizont. Schneestreifen lagen auf
den Hügeln, sie wechselten sich mit dunkelbraunen Flecken ab und ließen die Anhöhen aussehen wie eine Reihe Marmorkuchen.
Plötzlich wusste ich, wo ich mich befand.
Urnalda hatte mich bei den Ausläufern der östlichen Ebenen freigelassen – am äußersten Rand ihres Reiches. Das erklärte den
langen Marsch! Ob sie das getan hatte, damit ich dem Steinkreis und der künftigen Schlacht näher war, wusste ich nicht. Aber
vermutlich wollte sie mich einfach so weit weg wie möglich haben, bevor sie mir die Freiheit gab.
Der Sonnenstand bestätigte meine Ängste wegen der Zeit. Schon war es Spätnachmittag; hierher zu kommenhatte mich den größten Teil des Tages gekostet. Die Hügel mit ihren Schneestreifen schimmerten im goldenen Licht. Doch für
mich hatte die Landschaft keine Schönheit.
Es blieb nur noch eine knappe Woche und ich hatte nichts erreicht. Überhaupt nichts! Ich hatte den Töter weder besiegt noch
eine Möglichkeit gefunden, seine Angriffe zu verhindern. Und er könnte weitere Kinder getötet haben, während ich bei den Zwergen
war. Mir blieb nur die Hoffnung, dass Rhia mehr Erfolg hatte bei ihrer Aufgabe, Helfer für Fincayras Sache zu gewinnen. Wo
mochte sie jetzt sein?
Während ich die fernen Hügel betrachtete, wandten sich meine Gedanken jemand anderem zu: Hallia. Ich sehnte mich danach, sie
wiederzusehen, an ihrer Seite zu springen. Erst vor wenigen Monaten waren wir gemeinsam durch diese Gegend gestreift, waren
den alten Pfaden ihres Volkes gefolgt. Wie üblich waren wir ganz für uns geblieben bis auf einen kurzen Besuch bei meinen
Freunden, dem alternden Gärtnerpaar T’eilean und Garlatha.
Das war die Idee! Ich würde zu ihrem Häuschen in den Hügeln gehen. Sie konnten mir bei meiner Aufgabe nicht helfen, das wusste
ich. Aber sie konnten mir wie so häufig etwas anderes zukommen lassen – einen kurzen Aufschub von meinen Sorgen. Einen Moment
der Ruhe in Gesellschaft von Freunden. Und eine Möglichkeit, über den nächsten Schritt nachzudenken.
Ich machte mich auf den Weg zu den Hügeln, von eisigen
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