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Merlin und die Fluegel der Freiheit

Merlin und die Fluegel der Freiheit

Titel: Merlin und die Fluegel der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas A. Barron
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zu streiten?«
    Sie nickte ernst. »Unser gemeinsames Leben ist wie eine köstliche Knolle, die alles enthält, was wir die Jahreszeiten hindurch
     brauchen.«
    »Nein, nein, nicht wirklich«, widersprach er. »Mehr wie ein vom Wind verwehter Samen . . . der überall . . . landen und überleben
     kann.«
    Ich dachte an Hallia, jetzt so weit weg, die um ihr Handgelenk die Saite eines anderen zerstörten Instruments trug. »Mir kommt
     euer gemeinsames Leben mehr wie etwas anderes vor.«
    Überrascht sah Garlatha mich an. »Und was?«
    »Wie zwei Bäume, die so nahe beieinander wachsen, dass ihre Äste sich miteinander verflochten haben. Es sind immer noch unabhängige
     Bäume, versteht ihr, die auf ihren eigenen Wurzeln stehen. Aber jetzt sind sie noch dazu mehr als das – ein ganz neues Wesen.
     Denn sie unterstützen einander, beschützen einander und halten einander jeden Tag.«
    Eine lange Pause entstand, in der die beiden Alten mich anschauten. Schließlich beendete Garlatha das Schweigen. Mit brechender
     Stimme fragte sie: »Aber wie lebt ein Baum weiter ohne den anderen?«
    Ich schüttelte den Kopf und schaute hinauf in die Äste des Kirschbaums mit ihren dunkelroten Früchten.
    »Erinnerst du dich«, fragte T’eilean, »an den Tag . . . als du zum ersten Mal hier warst, als du uns eine Geschichte von einem
     anderen Land erzählt hast, über zwei Leute . . . die ein langes Leben miteinander verbracht hatten? Als dieZeit kam . . . dass einer von ihnen sterben musste, da haben die Götter . . .«
    »Sie beide in Bäume verwandelt!«, rief Garlatha. »Kannst du das, Merlin? Kannst du das für uns tun?«
    »Bitte«, sagte ihr Mann und schob sich am Stamm etwas höher. »Das . . . ist auch mein . . . Wunsch.«
    Ich hob die Hand. »Moment. Ich bin nicht sicher, ob ich so etwas kann. Und selbst wenn, bin ich nicht sicher, ob ich es wirklich
     will.«
    »Oh, aber wir wollen es«, flehte die alte Frau. »Mehr, als du dir vorstellen kannst.« Sie schaute T’eilean in die Augen. »Viel
     mehr.«
    »Es wäre gefährlich«, protestierte ich ernst. »Solche Verwandlungen betreffen euren Geist ebenso wie euren Körper. Es könnte
     damit enden, dass beide beschädigt sind, vielleicht ernsthaft.«
    »Bitte«, baten sie einstimmig.
    »Nein, nein. Ich sollte es wirklich nicht tun.«
    »Bitte, Merlin.«
    Ich betrachtete sie eine Weile und spürte die Kraft ihres Wunsches. Schließlich nickte ich. Sie verdienten die Chance, ihre
     eigenen Risiken zu wählen – und ihr eigenes Schicksal. Langsam stand ich auf. Ich ergriff meinen Stock, ging ein paar Schritte
     zurück und achtete darauf, nicht über eine Hecke voller Heidelbeeren zu stolpern. Ich holte tief Luft und sammelte all meine
     Kraft. Zugleich fassten T’eilean und Garlatha mit hoffnungsvollen Blicken die Hand des anderen fester denn je zuvor. Nach
     einem Augenblick begann ich mir die verschiedenen Zaubersprüche aufzusagen, die, wie ich wusste, die Magie freilassen konnten,
     die jeden Samen füllte und jeden Frühling antrieb: den Zauber des Verwandelns.
    Eine neue Wärme strömte durch meinen Körper, von der Tiefe der Brust bis zu den Fingerspitzen. Der Wind regte sich, rauschte
     in den Ästen des Baumes und warf ein paar Kirschen herunter. Blätter und Zweige und verstreute Samen hoben sich in die Luft,
     umkreisten mich und das weißhaarige Paar und glänzten in einem Licht, das nicht von der sinkenden Sonne kam.
    Ein weißer Blitz leuchtete auf, so gewaltig, dass ich zurücktaumelte und zu Boden fiel. Als ich wieder nach meinen Freunden
     schaute, waren sie verschwunden. Spurlos verschwunden.
    Verwirrt sah ich mich um. Sonst hatte sich nichts verändert. Die Bäume standen wie zuvor, ebenso die graue Steinhütte. Selbst
     der Sack mit Samen lag unberührt auf dem Boden.
    Meine Gedanken jagten sich. Was hatte ich getan? Etwas war schief gegangen – schrecklich schief. Ich hatte sie verwandeln
     wollen, nicht . . . Auf der Suche nach einer Antwort kroch ich zum Fuß des Kirschbaums und untersuchte den Boden, auf dem
     meine Freunde noch vor Sekunden gewesen waren. Hier gab es kein Zeichen von ihnen, keinen Hinweis auf eine Erklärung bis auf
     die eine Möglichkeit, zu schrecklich, um sie zu begreifen.
    Ich hatte sie erledigt. Körper, Geist, alles.
    Von Kummer überwältigt kam ich auf die Füße. Benommen hob ich den rostbraunen Samensack auf, ebenso meinen Stock und schlurfte
     vor die Hütte. Ich konnte nicht sprechen, nicht denken, nicht fühlen. Ich

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