Merlin und die sieben Schritte zur Weisheit
versammelten sie sich zu irgendeinem
Zweck, doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie es nur widerwillig taten.
In diesem Augenblick trat ein großer hagerer Mann mit einem braunen Umhang über der Tunika in die Mitte des Rings. Auf dem
Kopf trug er einen merkwürdigen Hut mit drei Ecken, der gefährlich auf eine Seite kippte wie ein Betrunkener. Dutzende glänzender
Metallkugeln baumelten vom Hutrand. Der Mann schwenkte seine langen spinnendürren Arme, dass die losen Ärmel flatterten, und
brüllte einige Worte, die ich nicht recht verstehen konnte.
Plötzlich begriff ich die kreisförmige Anordnung der Häuser. Die ganze Stadt war ein Theater! Und ich war gerade rechtzeitig
zu einer Vorstellung gekommen.
Am Stadttor blieb ich stehen. Anders als beim letzten Mal, als ich hier war, empfing mich kein Wächter mit einem Speer, der
auf meine Brust zielte. Stattdessen begrüßte mich ein frisch geschnitztes Schild an einem der Torpfosten. Es leuchtete im
Spätnachmittagslicht und trug die Inschrift
Caer Neithan, die Stadt der Barden, heißt alle willkommen, die friedlich nahen.
Unter diesen Worten erkannte ich einen Vers von Cairpré:
Hier ist das Lied stets überall, Geschichte stützt den Sonnenball.
Kaum war ich innerhalb der Tore, da sprang ein schlanker Mann mit struppigen Haaren von einem der Balken und kam herüber.
Seine Brauen, wirr wie Dornengestrüpp, hingen ihm über die dunklen Augen. Ich stützte mich auf meinen Stock und erwartete
ihn.
»Hallo, Cairpré.«
»Merlin«, flüsterte er und breitete die Arme aus, alswollte er vor Freude in die Hände klatschen. Dann schaute er über die Schulter auf den Hageren, der irgendeinen Text vortrug,
und überlegte es sich offenbar anders. »Schön dich zu sehen, mein Junge.«
Ich nickte. Offenbar nahm er an, dass meine Arbeit in den dunklen Hügeln getan war. Es würde nicht leicht sein, ihm die Wahrheit
zu sagen. Wieder sah er zu dem Vortragenden und zu den ernsten, fast weinerlichen Gesichtern im Publikum hinüber. »Ich bedaure
nur, dass du nicht zu einer erfreulicheren Vorstellung gekommen bist.«
»Oh, das macht nichts«, flüsterte ich. »Nach all diesen düsteren Gesichtern zu schließen, hat der Mann ein Talent dafür, die
Menschen traurig zu machen. Was trägt er vor? Ein tragisches Gedicht?«
Cairpré zog die Augenbrauen fast bis zum Haaransatz hoch. »Unglücklicherweise nicht.« Er schüttelte seine zottige Mähne. »Glaub
es oder glaub es nicht, der arme Kerl
versucht
komisch zu sein.«
»Komisch?«
»So ist es.«
In diesem Augenblick drang ein lärmendes Scheppern und Rasseln an meine Ohren. Ich schaute zu dem Redner hinüber und sah,
dass er heftig den Kopf schüttelte und dabei seinen spitzen Hut von einer Seite zur anderen warf. Das Geräusch kam von den
Metallkugeln. Es waren Glocken! Natürlich, dachte ich. Genau das Richtige, um die Leute zum Lachen zu bringen. Nur schade,
dass sie so blechern klangen, eher nach schlagenden Schwertern als nach läutenden Glocken.
Ich beobachtete den Mann einen Augenblick. Seine Hände und Schultern hingen matt herab, sein Rücken warkrumm und sein ganzes Gesicht – einschließlich der Stirn, der Augenpartie und des Munds – war in kummervolle Falten gelegt.
Die Wirkung wurde noch gesteigert, weil er trotz seiner dünnen Gestalt einen schlaffen Hals mit einer ganzen Reihe von Kinnen
untereinander hatte. Wenn er die Mundwinkel senkte, wiederholte sich der Zug nach unten fünf, sechs Mal.
Plötzlich zog er seinen schweren Umhang um sich, als wollte er eine Rede halten. Dann fing er an in traurigen, langsamen Tönen
zu singen – oder genauer, zu jammern. Seine Stimme schien zu weinen, sein Atem klang wie Schluchzen. Ich zuckte zusammen,
genau wie Cairpré und die meisten Zuhörer. Der Mann mochte versucht haben komisch zu sein, aber sein Gesang vermittelte so
viel Fröhlichkeit wie ein Klagelied.
Wenn ihr der Glocken Klingen hört,
Vergesst, was euch bisher beschwert.
Kummer und Leiden
Werden zu Freuden.
Seid lustig, haha,
Der Spaßmacher ist da!
Ich tolle und springe,
Ich scherze und singe
Und bringe euch Glück
Und Frohsinn zurück.
Seid lustig, haha,
Der Spaßmacher ist da!
Während der Mann mit seinem Gejammer fortfuhr, sagte ich zu Cairpré: »Weiß er nicht, wie er klingt? Einen weniger komischen
Menschen habe ich noch nie gehört.«
Der Dichter seufzte. »Ich glaube, er weiß es. Aber er versucht es trotzdem immer
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