Merlin und die sieben Schritte zur Weisheit
lächerlich. Ich habe deine Bibliothek gesehen.Alle diese Bücher! Du kannst mir nicht erzählen, dass du nichts weißt.«
»Ich habe nicht gesagt, dass ich nichts weiß, mein Junge. Ich sagte, ich weiß nicht
genug.
Das ist ein Unterschied. Allein der Gedanke, dass ich den legendären Traumrufer beherrschen könnte – nun, das wäre ein schrecklicher
Akt der Hybris.«
»Hybris?«
»Das Wort kommt aus dem Griechischen und bedeutet Hochmut. Selbstüberhebung. Das ist eine Untugend, die manch große Persönlichkeit
zu Fall brachte.« Seine Stimme sank wieder zu einem Flüstern herab. »Auch, wie man sich erzählt, deinen eigenen Großvater.«
»Du meinst . . . Tuatha?«
»Ja. Tuatha. Den mächtigsten Magier, den Fincayra je gekannt hat. Den einzigen Sterblichen, dem je gestattet wurde die Anderswelt
aufzusuchen, um sich mit Dagda zu beraten – und der lebend zurückkehrte. Selbst er war anfällig für Hybris. Und sie tötete
ihn.«
Die blühende Harfe fühlte sich plötzlich schwerer an, die Schlinge grub sich in meine Schulter. »Wie ist er gestorben?«
Cairpré beugte sich näher zu mir. »Ich kenne die Einzelheiten nicht. Niemand kennt sie. Ich weiß nur, dass er seine Macht
überschätzte und Rhita Gawrs schrecklichsten Diener, einen einäugigen Oger namens Balor, unterschätzte.« Er schüttelte sich.
»Aber lass uns von erfreulicheren Dingen reden! Mein Junge, erzähl mir von der Harfe. Du hast in den dunklen Hügeln schnell
gearbeitet, wenn du schon hier unten in der Ebene bist.«
Ich trat unbehaglich von einem Bein aufs andere undrieb das knotige Ende meines Stocks. Während ich die tiefen Rillen spürte, würzte der Hemlocksgeruch die Luft und erinnerte
mich an die Frau, deren Düfte meine Kindheit erfüllt hatten. Die Zeit war gekommen, Cairpré zu erzählen, was ich vorhatte
– und was ich ungetan gelassen hatte. Ich holte tief Luft und erklärte: »Ich bin mit meiner Arbeit in den Hügeln noch nicht
fertig.«
Er hielt den Atem an. »Nicht fertig? Hattest du Schwierigkeiten? Kriegergoblins auf freiem Fuß?«
Ich schüttelte den Kopf. »Die einzige Schwierigkeit habe ich mir selbst zuzuschreiben.«
Seine Augen glichen bodenlosen Teichen, als er mich forschend anschaute. »Was sagst du da?«
»Dass ich etwas Wichtigeres als meine Aufgabe entdeckt habe.« Ich wich seinem Blick nicht aus. »Ich will meine Mutter finden.
Um sie nach Fincayra zu bringen.«
Zorn blitzte über sein Gesicht. »Deshalb würdest du uns alle in Gefahr bringen?«
Mir wurde die Kehle eng. »Cairpré, bitte. Ich werde meine Aufgabe beenden. Ich verspreche es! Aber ich muss meine Mutter wieder
sehen. Bald. Ist das zu viel verlangt?«
»Ja! Du gefährdest alle Geschöpfe dieses Landes.«
Ich versuchte zu schlucken. »Elen hat für mich alles aufgegeben, Cairpré. Sie liebte ihr Leben hier. Liebte es aus der Tiefe
ihrer Seele. Und sie hat alles verlassen, nur um mich zu schützen. Während unserer Zeit in Gwynedd war ich – nun, ihr einziger
Gefährte. Ihr einziger Freund. Obwohl ich nicht viel tat, um das zu verdienen.«
Ich machte eine Pause und dachte an ihre traurigen Lieder,ihre heilenden Hände, ihre wunderbaren blauen Augen. »Wir hatten unsere Probleme, das kannst du mir glauben. Aber wir waren
uns viel näher, als jeder von uns wusste. Dann verließ ich sie eines Tages, ließ sie ganz allein. Ging einfach weg. Sie muss
unglücklich sein in dieser kalten Steinkammer. Sie könnte sogar krank sein oder in Schwierigkeiten. Wenn ich sie meinetwegen
hierher bringen will, ist es also auch ihretwegen.«
Cairprés Miene wurde etwas milder. Er legte mir die Hand auf die Schulter. »Hör zu, Merlin. Ich verstehe dich. Wie oft habe
ich mich selbst danach gesehnt, Elen wieder zu sehen! Aber auch wenn wir die dunklen Hügel beiseite lassen – jemanden aus
der Welt jenseits der Nebel herzubringen, ist unerhört gefährlich.«
»Bist du dir da sicher? Das Meer hat mich zweimal verschont.«
»Es geht nicht um das Meer, mein Junge, obwohl die Reise gefährlich genug ist. Fincayra hat seine eigenen Gesetze, seine eigenen
Rhythmen, die Sterbliche nur erraten können. Selbst Dagda, sagt man, wagt es nicht, vorauszusagen, wer durch die Nebelwände
dringen darf.«
»Ich glaube es nicht.«
Seine Augen verfinsterten sich. »Es wäre gefährlich für jeden, der von draußen hierher gebracht wird, und zugleich gefährlich
für Fincayra.« Nachdenklich schloss er die Augen. »Du verstehst
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