Merlin und die sieben Schritte zur Weisheit
eines Tages bereitwillig ihre Tür öffnet? Vielleicht sogar freudig?«
Bei diesen Worten schauderte der ganze Baum und ließ noch mehr Blätter und Rindenstückchen auf uns regnen.
Rhia kniff die Augen zusammen. »Arbassa beschützt mich, das ist alles.«
»Du musst nicht mitkommen.«
»Ich weiß.« Sie schürzte nachdenklich die Lippen. »Aber bist du sicher, dass wir zu Tuathas Grab gehen sollen?«
Bumbelwy schnappte nach Luft und rang die Hände. »Zum Grab des großen Zauberers? Niemand geht dorthin. Das heißt niemand,
der überleben will. Es ist ein verwünschter Ort, ein schrecklicher Ort. Nur zu wahr, zu wahr, zu wahr.«
»Wir gehen hin«, fuhr ich ihn an.
»Aber ich kann dich nicht führen«, sagte Rhia. »Ich weiß noch nicht einmal, wo es ist.«
»Ich schon. Ich bin schon einmal dort gewesen, vielleicht sogar zweimal, obwohl ich das erst genau sagen kann, wenn ich dort
bin.« Ich rieb das obere Ende meines Stocks, bis Tannenduft aufstieg. »Wenn du uns zu diesem großen Sumpf gleich unterhalb
der umnebelten Hügel bringst, kann ich uns weiterführen.«
Sie schüttelte zweifelnd den Kopf. »Damit verlieren wir kostbare Zeit.«
Bumbelwy stimmte glockenklirrend zu. »Wir verlieren mehr als das.«
»Und wenn schon.« Ich schlug mit dem Stock aufs Gras. »Gehen wir.«
Rhia schaute sehnsüchtig in Arbassas Zweige, dann drehte sie sich um, ging über die Wiese und verschwand in einer Lücke zwischen
den Bäumen. Ich folgte ihr. Bumbelwy ging als Letzter und knurrte etwas von verwünschten Gräbern und rachsüchtigen Zauberern
vor sich hin.
Eine Zeit lang folgten wir einem gewundenen Pfad mit den Fährten von Füchsen, Bären, Wölfen und anderen, die ich nicht erkannte.
Dann verlor sich der Pfad und wir kämpften uns über einen Streifen liegender Bäume, die ein heftiger Sturm umgerissen hatte.
Als wir mit aufgeschürften, blutenden Schienbeinen schließlich den Weg zurück in Pinien- und Zederngehölze fanden, führte
Rhia uns höher hinauf. Hier waren die Lücken zwischen den Nadelbäumen größer und ließen mehr Lichtstrahlen auf den Waldboden.
Das half meinem zweiten Gesicht, so dass ich wenigstens nicht mehr über jede Wurzel stolperte und gegen jeden Ast stieß.
Trotzdem war es nicht leicht, mit Rhia Schritt zu halten. Die Dringlichkeit unserer Aufgabe spornte sie an, genau wie mich.
Und vielleicht die verlockende Möglichkeit, Bumbelwy irgendwo im Wald zu verlieren. Aber von seinen langen, dünnen Beinen
unterstützt schaffte er es, bei uns zu bleiben, und bei jedem Schritt lärmten seine Glocken. Inzwischen sprang Rhia so anmutig
wie ein Reh dahin, manchmal lief sie zwischendurch schnell einen Hang hinauf. Sie erinnerte mich an Atalante aus der griechischen
Sage, das Mädchen, das unglaublich schnell laufen konnte. Doch während ich noch über den Vergleich grinste, dachte ich traurig
an die Frau, die mir die Geschichte erzählt hatte.
Ich strengte mich an mitzuhalten. Schweiß brannte mir in den blinden Augen. Als die Sonne über uns höher stieg, wurde das
Land feuchter. Moos wuchs an jedem Baumstamm, Bäche sprudelten aus dem Boden und Schlamm klebte an unseren Stiefeln. Dunkle
Lachen mit stehendem Wasser wurden häufiger. Es war der Geruch, nicht der Anblick dieses Landstrichs, den ich wieder erkannte.
Dumpf, faulig und bedrohlich grub er sich in mein Gedächtnis wie Krallen ins Fleisch.
»Hier«, sagte ich und wandte mich nach Westen.
Rhia folgte mir und schritt leichtfüßig durch den Schlamm, im Gegensatz zu Bumbelwy, der direkt hinter ihr stapfte und rutschte.
Ich führte sie zu einer schattigen Zedernschneise. Die Geräusche des Waldes erstarben, an ihre Stelle trat eine unheimliche
Stille. Noch nicht einmal das Schwirren eines Käferflügels war zu hören.
Am Rande der Schneise blieb ich stehen. Ich schaute zurück und bat die anderen zu bleiben, wo sie waren. Rhia wollte etwas
sagen, doch mit einer Handbewegung brachte ich sie zum Schweigen. Langsam, vorsichtig ging ich allein weiter.
Ein plötzlicher Windstoß fuhr in die Zedernzweige. Statt wie sonst zu rascheln vibrierten sie seltsam, als würden sie ein
leises, trauriges Klagelied singen. Ein Lied von Verlust und Sehnsucht. Ein Lied vom Tod. Die Schneise verfinsterte sich,
bis ich kaum noch meine Stiefel auf dem nadelbedeckten Boden erkennen konnte. Ringsum schwoll das Wehklagen der Zweige an.
Schließlich betrat ich einen kleinen Platz, von einem Kreis alter Zedern
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