Merlin und die sieben Schritte zur Weisheit
den Nüstern quoll Rauch. Unter seiner Nase war eine
Schuppenreihe vom Rauch so geschwärzt, dass sie einem enormen Schnurrbart ähnelte. Bei jedem Einatmen entblößte der Drache
Reihen spitzer Zähne; bei jedem Ausatmen spannten sich die mächtigen Schultermuskeln und schüttelten die großen Flügel, die
auf seinem Rücken gefaltet waren. Klauen, scharf wie das Schwert an meinem Gürtel, aber zehnmal so lang, glänzten im Frühmorgenlicht.
Mitten auf einer Kralle saß wie ein übergroßer Ring ein Totenkopf, so kolossal, dass er Shim gehört haben könnte.
Unter dem geschuppten Drachenleib funkelten und glitzerten Schätze. Kronen und Halsketten, Schwerter und Schilde, Trompeten
und Flöten – alle aus Gold oder Silber gemacht, alle mit Edelsteinen besetzt. Rubine, Amethyste, Jade, Smaragde, Saphire und
riesige Perlen waren überall verstreut. Nie hatte ich mir vorgestellt, dass so viele Kostbarkeiten an einem Ort existieren
könnten. Doch ich verspürte nicht den geringsten Wunsch, sie zu durchsuchen, denn überall dazwischen lagen Totenköpfe in allen
Größen und Formen, manche weiß schimmernd, andere vom Feuer versengt.
Ich kroch tiefer in die Höhle, Rhia und Bumbelwy kamen dicht hinter mir. Wir krümmten uns gleichzeitig bei dem langsamen,
brausenden Rhythmus, in dem der Drache atmete. Seine riesigen Augen waren nicht ganz geschlossen, in den Schlitzen glomm es
gelb. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass die Bestie zugleich wachte und schlief.
In diesem Moment öffnete sich das Maul des Drachenzu einem Spalt. Eine dünne Flammenzunge schoss heraus und versengte die schwarzen Felsen und ein paar herumliegende Totenköpfe.
Bumbelwy sprang zurück, dabei fiel sein glockenbesetzter Hut aus dem Umhang. Er schlug mit misstönendem Geklirr zu Füßen des
Spaßmachers auf die Steine.
Der Drache schnaubte plötzlich und verschob den mächtigen Leib. Seine Lider zitterten und öffneten sich ein wenig mehr. Bumbelwy
schnappte ängstlich nach Luft. Seine Beine schwankten. Als Rhia sah, dass er einer Ohnmacht nahe schien, fasste sie ihn am
Arm.
Da hob der Drache mit grausiger Langsamkeit die Klaue mit dem riesigen Schädel. Wie jemand, der gleich eine seltene Delikatesse
essen wird, führte er sie an die Nüstern und schnupperte daran. Seine Lider zitterten, öffneten sich aber nicht, während er
versengendes Feuer ausstieß. Als der Schädel genug geröstet war, packte der Drache ihn mit den purpurnen Lippen und riss ihn
von der Klaue. Ein lautes Knacken hallte durch die Höhle, das Geräusch enormer Zähne, die den Bissen zersplitterten. Mit einem
ungeheuren Rauchstoß fing der Drache wieder an zu schnarchen.
Wir drei schauderten gleichzeitig. Ich sah Rhia grimmig an und reichte ihr meinen Stock. Zugleich legte ich die rechte Hand
an den Silbergriff meines Schwerts. Langsam, ganz langsam zog ich es aus der Scheide. Dabei gab die Klinge einen schwachen
Ton von sich, wie eine ferne Glocke. Der schlafende Drache brummte plötzlich und stieß dicken Rauch aus den Nüstern. Seine
spitzen Ohren stellten sich auf und horchten auf den Klang. Inzwischen schien sich sein Traum zu verändern. Er knurrte bösartig,fletschte die Zähne und schlug mit den Klauen in die Luft.
Ich stand so still wie eine Statue. Der Arm, der das schwere Schwert über meinem Kopf hielt, fing an zu schmerzen, aber ich
wagte nicht ihn sinken zu lassen aus Furcht vor einem weiteren Geräusch. Nach einigen Minuten schien der Drache sich etwas
zu entspannen. Das Knurren hörte auf, die Klauen lagen ruhig da.
Vorsichtig, einen Schritt nach dem andern, schlich ich auf den Steinen vorwärts. Der Drache ragte über mir, jede seiner Schuppen
war so groß wie ich. Schweiß brannte mir in den Augen.
Wenn ich nur einen Schlag führen kann, wohin soll ich dann zielen?
Diese gepanzerten Schuppen bedeckten Brust, Beine, Rücken, Schwanz, sogar die orangen Ohren. Vielleicht konnte ich ihn erledigen,
wenn ich ihm das Schwert in ein geschlossenes Auge stieß.
Immer näher kroch ich heran. Die rauchige Luft reizte mich zum Husten, aber ich widerstand mit aller Kraft. Meine Hand umklammerte
den Griff meines Schwerts.
Plötzlich holte der Schwanz aus wie eine ungeheure Peitsche. Ich hatte keine Zeit mehr, mich zu rühren, geschweige denn wegzulaufen.
Als der Schwanz sich zu seiner ganzen Länge streckte, rollte sich ein Stachel an seiner Spitze fest um meine Brust und drückte
mir die Luft aus den Lungen.
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