Merlin und die sieben Schritte zur Weisheit
kann sich daran erinnern, dass zu seinen Lebzeiten
jemand dort gewesen ist! Wie kannst du hoffen in nur drei Tagen den Weg hin und wieder zurück zu finden?«
Ich versuchte mir die Strecke vorzustellen – über Wasser, über Berge, durch Wälder und über alle magischenHindernisse hinweg, die das Eiland abschirmten. Durch die ganze Breite Fincayras voller ungeahnter Gefahren. Traurig wandte
ich mich an Rhia. »Diesmal, fürchte ich, hat Bumbelwy Recht. Diesmal haben wir weder den Wind noch einen Riesen als Helfer.«
Rhia stampfte auf den versengten Fels. »Ich gebe nicht auf. Wir sind so weit gekommen! Du hast sechs der sieben Schritte getan.
Und ich weiß sogar, wo der Andersweltschacht liegt.«
Ich sprang auf. »Du weißt
was
?«
»Wo der Andersweltschacht liegt. Wo Balor Wache steht.« Sie strich sich übers Haar und drehte ein paar Locken zwischen den
Fingern. »Gwri mit den goldenen Haaren hat es mir gezeigt – sie schickte mir eine Vision davon –, als sie uns sagte, dass der Andersweltschacht nicht weit von der Drachenhöhle ist.«
»Warum hast du mir nichts davon erzählt?«
»Sie hat mich darum gebeten! Sie dachte, du könntest versucht sein die vergessene Insel ganz auszulassen.«
Langsam setzte ich mich wieder auf die schwarze Steinbank. Ich brachte meine Nase nahe an die von Rhia und sagte leise, aber
fest: »Genau das werden wir machen.«
»Das kannst du nicht!«, protestierte sie. »Du musst die Seele des Sehens finden, bevor du überhaupt eine Chance gegen Balor
hast. Erinnerst du dich nicht an die Worte, die du in Arbassa gefunden hast?
Doch wage erst dich an den Schacht,
Wenn jeder Schritt getan.
Denn Balor, der ihn streng bewacht,
Hat seinen eignen Plan.
Du stirbst bestimmt, wenn du versuchst gegen Balor zu kämpfen, bevor du den siebten Schritt getan hast.«
Mein Magen verkrampfte sich, als ich an Tuathas Warnung dachte:
Achte auf meine Worte, junger Dachs! Ohne alle sieben Schritte wirst du mehr verlieren als den Erfolg deiner Suche. Du wirst
dein Leben verlieren.
Ich räusperte mich. »Aber Rhia, wenn ich den siebten Schritt nicht auslasse, stirbt meine Mutter bestimmt. Siehst du das nicht
ein? Es ist unsere einzige Hoffnung. Unsere einzige Chance.«
Sie kniff die Augen zusammen. »Da ist noch etwas, nicht wahr? Ich kann es spüren.«
»Nein. Du irrst dich.«
»Das stimmt nicht. Du fürchtest dich vor etwas, stimmt’s?«
»Schon wieder diese Instinkte!« Ich ballte die Fäuste. »Ja, ich fürchte mich. Vor der Lektion des Sehens. Sie ängstigt mich
mehr als alle anderen zusammen. Ich weiß nicht, warum, Rhia.«
Sie schüttelte den Kopf und lehnte sich zurück an den verkohlten Fels. »Dann ist das, was dich auf der vergessenen Insel erwartet,
wichtig, Merlin. Für dich genauso wie für Elen! Und es gibt noch einen Grund.«
»Noch einen?«
»Gwri hat mir noch etwas anvertraut. Sie sagte, auf der vergessenen Insel musst du einen Mistelzweig suchen. Du sollst ihn
tragen, sagte sie, wenn du den Andersweltschacht betrittst. Er wird dir helfen sicher in Dagdas Reich zu kommen. Ohne den
Zweig wird deine Aufgabe viel schwieriger sein.«
»Meine Aufgabe kann nicht mehr schwieriger werden,als sie ist! Bitte, Rhia. Kein Mistelzweig ist so wichtig, dass ich dafür die kurze Zeit verschwende, die mir noch bleibt.
Du musst mir helfen. Zeig mir den Weg zum Andersweltschacht.«
Sie stieß ihren Schuh aus geflochtener Rinde an den geschwärzten Fels. »Nun . . . wenn ich es mache und du irgendwie überlebst,
versprichst du mir dann, etwas zu tun?« Ihre Augen wurden plötzlich feucht. »Selbst wenn ich nicht da bin, um dich an dein
Versprechen zu erinnern?«
Ich schluckte. »Natürlich! Und warum solltest du nicht da sein?«
»Lassen wir das.« Sie blinzelte die Tränen zurück. »Versprich mir, dass du, falls du überlebst, eines Tages zur vergessenen
Insel gehst und lernst, was du dort lernen sollst.«
»Ich verspreche es. Und ich werde dich mitnehmen.«
Sie stand plötzlich auf und schaute auf die schwarzen Hügel. »Dann lass uns gehen. Wir haben noch eine schwierige Wanderung
vor uns.«
TEIL DREI
XXIX
DIE LETZTE REISE
W ortlos führte uns Rhia tiefer in die Wüste aus zerbrochenen Steinen. Irgendwo auf diesen Hügeln war der Eingang zur Geisterwelt
– und der tödliche Oger, der ihn bewachte. Doch wenn Balor tatsächlich hier lebte, dann ohne die Gesellschaft von irgendetwas,
das atmete oder wuchs oder sich bewegte. Denn während
Weitere Kostenlose Bücher