Merlin und die sieben Schritte zur Weisheit
die dunklen Hügel leblos zu sein schienen bis auf ein paar dürre Bäume
hier und da, wirkten diese Hügel höchst lebensfeindlich. Der glühende Atem des Drachen hatte keinen einzigen Baum oder Strauch,
keinen Moosfleck irgendwo übrig gelassen. Nur Holzkohle. Ich wünschte, ich würde noch die blühende Harfe auf der Schulter
tragen und könnte ihren Zauber nutzen, um wenigstens ein paar Grashalme auf diese Hänge zu bringen.
Keine Landschaft hätte sich mehr von Rhias Heimat in den üppigen Lichtungen des Drumawalds unterscheiden können. Doch Rhia
bewegte sich mit der gleichen Zuversicht und Anmut über die versengten Steinhaufen, wie sie durch duftende Farnwäldchen gegangen
wäre. Sie ging direkt nach Osten ohne je die Richtung zu ändern. Wenn Kurs halten bedeutete einen bröckelnden Felssturz hinaufzuklettern
oder über eine tiefe Spalte zu springen, dann führte sie uns über das Hindernis. Stunde um Stunde.
Doch sosehr ich auch ihre Ausdauer bewunderte, einige ihrer anderen Qualitäten bewunderte ich noch mehr. Sie liebte das Leben
und alles, was lebte, getreu ihrer Kindheit in den Zweigen einer großen Eiche. Sie hatte eine stille, tiefe Weisheit, die
mich an die Geschichten über die griechische Göttin Athene erinnerte. Und mehr noch an meine Mutter. Ich war voller Dankbarkeit,
dass Rhia ihr Leben mit meinem verflochten und uns so fest miteinander verbunden hatte wie die Waldranken ihrer Kleidung.
Und ich stellte fest, dass ich sogar die Vorzüge ihres Anzugs zu schätzen wusste wie nie zuvor. Das enge, aber elastische
Gewebe um die Ellbogen. Die breiten grünen Blätter über den Schultern. Das spielerische Muster am Kragen.
Während wir über die verwüsteten Berge wanderten, hob ihr Anzug aus gewebten Ranken meine Laune wenigstens ein bisschen. Sein
Grün gab mir Hoffnung, dass selbst die ödesten Landstriche wieder zum Blühen gebracht werden könnten, dass selbst die schlimmsten
Fehler eines Tages vergeben wären. Denn wie Rhia gut wusste, steckte in diesen gewebten Ranken eine überraschende Wahrheit.
Die Magie keines Zauberers, und wäre sie noch so eindrucksvoll, übertraf die Magie der Natur. Wie sonst konnte ein neuer Schössling
aus lebloser Erde schießen? Und war es möglich, dass ich wie jedes Lebewesen tatsächlich an diesem Zauber der Erneuerung teilhaben
konnte?
Weil die Kammlinien der Hügel parallel nach Norden und Süden verliefen, konnten wir in keins der Täler abbiegen ohne die Richtung
zu wechseln. Deshalb kletterten wir die steilen Hänge hinauf und sofort auf der anderenSeite wieder hinunter. Wir kamen nur in die Talsohlen, um gleich wieder hochzusteigen. Als die Sonne hinter uns tief am Himmel
stand und lange Schatten von den geschwärzten Felsen fielen, wankten meine Knie und Oberschenkel von der Anstrengung. Selbst
mein Stock war keine Hilfe. Bumbelwy stolperte ständig, oft über den Saum seines Umhangs, und verriet so, dass er auch nicht
besser beisammen war.
Noch schlimmer, wir fanden keinen Tropfen Wasser. Meine Zunge lag wie ein trockenes Holzstück im Mund. Vielleicht war ich
durch den Bissen Stiefelleder durstiger als die anderen, aber wahrscheinlich nicht viel. Die lange Wanderung über den Schutt
hatte uns alle ausgedörrt.
Doch Rhia änderte nie das Tempo. Obwohl sie nichts sagte, schien sie noch grimmiger entschlossen als je zuvor. Vielleicht
lag es einfach an der Dringlichkeit unserer Aufgabe. Vielleicht lag es an etwas anderem, von dem nur sie wusste. Jedenfalls
war meine eigene Stimmung nicht weniger grimmig. In meinen Ohren donnerte immer noch Tuathas Stimme und entfachte meine Ängste,
wie sie das Licht in den blauen Steinen rings um sein Grab entfacht hatte. Obwohl Tuatha unendlich weise und mächtig war,
hatte er unter Balors tödlichem Blick sein Leben verloren. Und warum? Wegen seines Hochmuts. Zeigte ich nicht die gleiche
Untugend, wenn ich es wagte, Balor nach nur sechs der entscheidenden Schritte gegenüberzutreten?
Ja – und nein. Mein Hochmut hatte dieses ganze Chaos angerichtet. Doch jetzt waren meine Handlungen mehr von Verzweiflung
bestimmt. Und von Angst. Denn Rhia hatte Recht gehabt. Ich war erleichtert, wirklich erleichtert, dass ich die vergessene
Insel und das, was die Strophedes Sehens nach sich ziehen mochte, vermieden hatte. Diese Strophe verfolgte mich wie ein entsetzlicher Traum, so furchtbar
wie jener, bei dem ich mir in den verdorrten Ebenen das Gesicht zerkratzt
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