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Merlin und die sieben Schritte zur Weisheit

Merlin und die sieben Schritte zur Weisheit

Titel: Merlin und die sieben Schritte zur Weisheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas A. Barron
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hatte. Ich bezweifelte, dass ich mit meinen nutzlosen
     Augen und dem begrenzten zweiten Gesicht je die Seele des Sehens finden würde. Und ich vermutete, dass etwas ganz anderes,
     etwas, das mir bestimmt fehlte, nötig war, um wie ein Zauberer zu sehen.
    Und das war erst der Anfang meiner Ängste. Was war, wenn die Prophezeiung nicht stimmte, dass nur ein Kind mit Menschenblut
     Rhita Gawr oder seinen Diener Balor besiegen konnte? Tuatha selbst hatte das angedeutet.
Die Prophezeiung kann wahr sein und sie kann falsch sein. Aber selbst wenn sie wahr ist, hat die Wahrheit oft mehr als ein
     Gesicht.
Was die Prophezeiung auch gemeint haben mochte, ich konnte mich keinesfalls darauf verlassen. Die traurige Wahrheit war, dass
     ich mich noch nicht einmal auf mich verlassen konnte.
    Ein loser Stein rollte von oben den Hang hinunter und verfehlte knapp meinen Zeh. Ich schaute hinauf und sah, wie Rhia über
     die Spitze eines Felsens verschwand, der wie eine gemeißelte Nase seitlich aus dem Hügel ragte. Wie merkwürdig! Wir mussten
     noch so viel von diesem Hügel erklettern, warum war sie direkt über diese Nase gegangen statt um sie herum?
    Die Antwort gab ein feuchter Schimmer auf den Felsen vor mir. Wasser! Aber woher? Je höher ich den Felsen hinaufkletterte,
     umso mehr feuchte Flecken entdeckte ich. Selbst ein struppiges Moosbüschel hatte sich grün und lebendig im Spalt zwischen
     zwei Steinen angesiedelt.
    Als ich schließlich oben ankam, blieb ich abrupt stehen. Denn da, keine zehn Schritt entfernt, sprudelte eine kleine Quelle
     in ein klares Becken. Rhia trank schon daraus. Ich lief zu ihr und tauchte das ganze Gesicht ins Becken. Beim ersten Schluck
     prickelte meine Zunge ganz leicht. Beim nächsten wurde sie von der Kälte wieder lebendig. Wie Rhia hörte ich nicht auf zu
     trinken. Auch Bumbelwy ließ sich neben die Quelle fallen, sein Schlürfen und Keuchen mischte sich in unseres.
    Endlich, als ich nicht mehr konnte, drehte ich mich zu Rhia um. Sie saß da, die Knie an die Brust gezogen, und betrachtete
     die roten und purpurnen Streifen, die der Sonnenuntergang über den westlichen Himmel malte. Wasser tropfte von ihren Haaren
     auf die Schultern.
    Ich wischte die Tropfen vom Kinn und rutschte auf dem Felsen näher zu ihr. »Rhia, denkst du an Balor?«
    Sie nickte.
    »Ich habe ihn im See des Gesichts gesehen«, sagte ich. »Er hat mich . . . getötet. Mich gezwungen ihm ins Auge zu schauen.«
    Sie wandte mir das Gesicht zu. Der Sonnenuntergang ließ ihr Haar rosa schimmern, ihre Augen waren ernst. »Ich habe Balor auch
     im See des Gesichts gesehen.«
    Mir wurde die Kehle eng. »Sind wir – schon nah?«
    »Sehr.«
    »Sollten wir weitergehen, damit wir heute noch dort sind?«
    Bumbelwy, der sich gerade ein paar Steine zu einem Lager neben dem Becken zusammenbaute, sprang auf. »Nein!«
    Rhia seufzte. »Der Mond ist fast verschwunden undwir brauchen den Schlaf. Wir können genauso gut heute Nacht hier lagern.« Sie tastete über die raue Oberfläche der versengten
     Steine, dann griff sie nach meiner Hand und schlang den Zeigefinger um meinen. »Merlin, ich habe Angst.«
    »Ich auch.« Ich schaute wie sie zum Horizont. Über den zerklüfteten Hügeln war der Himmel jetzt blutrot. »Als ich klein war«,
     sagte ich leise, »habe ich mich manchmal so gefürchtet, dass ich nicht schlafen konnte. Dann hat mir meine Mutter immer auf
     die gleiche Art geholfen. Sie hat mir eine Geschichte erzählt.«
    Rhias Finger drückte meinen fester. »Wirklich? Was für eine wunderbare Idee, gegen die Angst eine Geschichte zu erzählen.«
     Sie seufzte. »Gehört das zu den Dingen, die eine Mutter tut?«
    »Ja. Jedenfalls eine Mutter wie sie.«
    Ihr Kopf, vom Sonnenuntergang jetzt rot gestreift, sank tiefer. »Ich wollte, ich hätte . . . meine Mutter gekannt. Und hätte
     einige ihrer Geschichten gehört, an die ich mich jetzt erinnern könnte.«
    »Es tut mir Leid, dass du das nicht gehabt hast, Rhia.« Ich versuchte vergeblich zu schlucken. »Aber eins ist fast so gut,
     wie die Geschichten deiner Mutter zu hören.«
    »Ja?«
    »Geschichten deines Freundes zu hören.«
    Sie lächelte beinah. »Das würde mir gefallen.«
    Ich schaute hinauf zum ersten Stern, der über uns glänzte. Dann räusperte ich mich und fing an. »Es war einmal vor langer
     Zeit eine weise und mächtige Göttin namens Athene.«

XXX
BALOR
    D ie Nacht war kalt und finster. Rhia schien nach meiner Geschichte eingeschlafen zu sein, doch ich lag

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