Merlin - Wie alles begann
Schach wie im Leben hängt alles von deiner Wahl ab.
Gerade als der Kriegergoblin sein Schwert auf Rhias Kopf niedersausen lassen wollte, konzentrierte ich mich ganz auf das große
Schwert Tieferschneid, das direkt hinter dem Thron an der Wand hing. Die Flammen stiegen wieder in meiner Erinnerung auf,
aber ich ließ mich nicht beirren und schob sie zurück. Außer dem schadenfrohen Schnauben der Goblins hörte ich nichts. Außer
dem Schwert und dem Eisenhaken, der es hielt, sah ich nichts.
Flieg, Tieferschneid. Flieg!
Der Eisenhaken brach entzwei. Das Schwert riss sich von der Wand los und flog auf den Goblin zu. Er hörte es durch die Luft
sausen und drehte sich um. Eine halbe Sekunde später rollte sein finsterer Kopf auf den Steinboden.
Rhia schrie, als der schwere Körper auf sie fiel. Stangmar brüllte vor Wut, sein Gesicht bestand nur noch aus Schatten. Die
beiden rot gekleideten Männer stießen einen Schreckensruf aus und traten ängstlich zurück. Nur die Ghule mit den leeren Gesichtern
schauten still zu.
In dem Tumult ließ ich meinen Stock los und hob dieHände. Tieferschneid wirbelte durch die Luft auf mich zu. Mit beiden Händen packte ich den silbernen Griff.
Als die Ghule das sahen, zogen sie ihre Schwerter. Wie ein Mann stürzten sie auf mich zu. Plötzlich ertönte die Stimme des
Königs.
»Halt!« Aus seinem böse verzogenen Mund kam ein anhaltendes, tiefes Knurren. »Dieser Zweikampf geht uns an. Niemanden sonst.«
Die Schatten wälzten sich über seinen Körper. Einen Moment zögerte er. Dann schüttelte er sich heftig und erklärte jemandem,
den nur er sehen konnte: »Wir haben gesagt, dieser Zweikampf geht uns an! Wir brauchen keine Hilfe.«
Er sprang von seinem Thron und griff rasch nach dem Schwert des gefallenen Kriegergoblins. Mit wütenden Blicken auf mich schlug
er die Klinge durch die Luft. Erst jetzt sah ich, dass die Schatten wieder von seinem Gesicht gewichen waren. Noch merkwürdiger
war, dass die dunklen Nebel direkt über dem roten Thron schwebten. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie mich genau beobachteten.
»Nun«, höhnte er, »du hast also
die Kräfte,
wie? Genau wie vor dir dein Großvater.« Er machte einen Schritt auf mich zu. »Aber trotz all seiner Kräfte konnte dein Großvater
dem irdischen Tod nicht entgehen. So wenig wie du.«
Ich hatte kaum Zeit, Tieferschneid zur Abwehr von Stangmars erstem Schlag zu heben. Die Schwerter klirrten, das Echo unter
den Steinbögen der Halle antwortete. Die Wucht von Stangmars Streich ließ mein Schwert bis zum Griff vibrieren. Meine Hände
hatten Mühe, es festzuhalten. Stangmar war dreifach im Vorteil: Er hatte mehrKraft, mehr Erfahrung und die schärferen Augen, auch wenn mein Sehvermögen besser geworden war.
Dennoch schlug ich zurück, so gut ich konnte. Obwohl der rotierende Boden und seine ständigen Erschütterungen mich aus dem
Gleichgewicht brachten, bedrängte ich ihn. Ich schlug wild zu, parierte und wich aus. Funken sprühten, wenn unsere Klingen
aufeinander stießen.
Vielleicht war es meine Heftigkeit, die Stangmar zur Vorsicht mahnte. Vielleicht stärkte mich Tieferschneid auf irgendeine
Art. Oder vielleicht spielte Stangmar nur mit seinem Opfer. Während wir uns durch die Halle mit den Kostbarkeiten kämpften
und wieder zurück, sah es jedenfalls so aus, als könnte ich mich behaupten.
Ganz plötzlich stellte Stangmar mich. Mit einem mächtigen Schlag, der durch den Raum hallte, traf er Tieferschneid. Das Schwert
wurde mir aus der Hand gerissen und fiel klirrend auf den Steinboden.
Der König legte sein Schwert an meine Kehle. »Jetzt werden wir unser Versprechen halten.« Er deutete auf den schrecklichen
Kessel an der Wand.
»Geh.«
Ich keuchte, aber ich gab nicht klein bei. »Wer hat dir das Versprechen abverlangt, mich zu töten?«
»Geh!«
»Und warum sollte dir dieses Versprechen so viel bedeuten, wenn du alle Versprechen gebrochen hast, die du deinem eigenen
Volk gabst?«
»Geh!«
Ich verschränkte die Arme. »Du hast es Rhita Gawr versprochen, nicht wahr?«
Stangmar finsteres Gesicht war unerbittlich. Die Schatten tanzten über seinem Thron. »Ja. Und es wäre klug vondir, wenn du von unserem guten Freund respektvoll reden würdest. Jetzt geh!«
Ich schaute flehend den Mann an, dessen Augen und Haare den meinen glichen. »Siehst du nicht, was Rhita Gawr dir angetan hat?
Und deinem Reich? Er will dein Land verwüsten. Deinen Himmel verdunkeln.
Weitere Kostenlose Bücher