Merlin - Wie alles begann
Schritt auf sie zu. »Aber wenn Shim oder ich wieder lebend bei dir auftauchen, egal nach welcher Zeit, dann
musst du den Galator zurückgeben.« Ich griff nach der Lederschnur und hielt den Anhänger hoch. Seine Juwelen schimmerten dunkel
im flackernden Licht. »Das sind die Bedingungen meiner Wette.«
Domnu schnalzte, als wollte sie gleich etwas Leckeres schlucken. »Und falls ihr je zurückkommt – was ich bezweifle, mein Schatz –, dann vertraust du darauf, dass ich ihn dir wiedergebe?«
»Nein!«, protestierte Shim.
Ich schaute sie streng an. »Du hast gesagt, du brichst nie die Regeln.«
»Das stimmt.« Dann fügte sie beiläufig hinzu: »Natürlich mit kleinen Ausnahmen hier und da.« Plötzlich schoss ihre Hand hoch
und packte den Anhänger. »Die Wette gilt.«
Niedergeschlagen sah ich, dass der Galator weg war.
Domnu schaute kurz auf den Anhänger, in ihren Augen spiegelte sich das grüne Leuchten. Dann steckte sie ihn in eine der durchhängenden
Taschen in ihrem Gewand. Sie lächelte wie jemand, der gerade eine große Wette gewonnen hat.
Ich war überzeugt, dass ich gerade meine letzte, größte Hoffnung aufgegeben hatte. »Das wolltest du die ganze Zeit«, stellte
ich verbittert fest.
»Ich glaube, das stimmt, mein Schatz.«
»Warum hast du ihn mir dann nicht einfach weggenommen? Warum diese Umstände?«
Domnu sah gekränkt aus. »Ich? Etwas nehmen, das mir nicht gehört? Nie!« Sie klopfte auf die Tasche mit dem Galator. »Außerdem
muss der Galator freiwillig gegeben werden. Nicht gestohlen. Sonst sind seine Kräfte wirkungslos. Hat dir das niemand gesagt?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Zu schade.« Sie gähnte ausführlich. »Wirklich zu schade.«
»Jetzt zu deinem Einsatz«, sagte ich grimmig. »Wie bringst du uns zum Schloss?«
»Ein kleiner Aufschub macht dir doch nichts aus, oder?«, fragte sie. »Ich bin gerade sehr müde.«
»Aufschub!«
»Ja.« Sie gähnte wieder. »Nur bis morgen irgendwann.« »Nein! Du hast es versprochen!«
»Das sein gemein!«
Sie schaute uns einen Augenblick prüfend an. »Na schön. Ich glaube, ich kann euch heute hinbringen. Aber ihr solltet euch
schämen einer armen alten Frau die nötige Ruhe zu missgönnen.« Nachdenklich runzelte sie den kahlen Kopf. »Die einzige Frage
ist, wie wir es machen.«
Sie klopfte sich auf den Schädel, dabei schaute sie sich mit ihren dunklen Augen im Raum um. »Ah, ich hab’s. Flügel. Ihr braucht
Flügel. Vielleicht sogar ein Paar, an das ihr gewöhnt seid.«
Mein Herz machte einen Sprung, als ich überlegte, ob sie vielleicht von den legendären Flügeln sprach, von denen mir Cairpré
erzählt hatte. Wollte mir Domnu wiedergeben,was alle Fincayraner vor so langer Zeit verloren hatten? Erwartungsvoll straffte ich die Schultern.
Ihre Füße klatschten über den Boden zum Eingang. Sie öffnete die schwere Tür, griff in die Dunkelheit und zog einen kompakten
Eisenkäfig heraus. In ihm war ein kleiner, ramponierter Falke. Ein Merlin.
»Verdruss!«
Ich lief zu dem Käfig. Der Vogel schlug begeistert mit den Flügeln, pfiff und riss mit den Klauen an den Eisenstangen.
»Lass ihn heraus«, bat ich und streichelte durchs Gitter die warmen Federn.
»Vorsichtig«, warnte Domnu. »Er ist reizbar, dieser Vogel. Ein richtiger Kämpfer. Kleiner Körper, großer Mut. Er könnte dich
in Fetzen reißen, wenn er wollte.«
»Nicht mich, das macht er nicht.«
Sie zuckte die Schultern. »Wie du meinst.«
Sie klopfte leicht an den Käfig, der sofort verschwand. Verdruss fiel heraus, konnte sich aber fangen, bevor er auf dem Boden
aufschlug. Mit zwei Flügelschlägen und einem Pfiff landete er auf meinem Stock und sprang weiter auf meine linke Schulter.
Mit seinem flaumigen Hals streichelte er mein Ohr. Dann drehte er sich zu Domnu und fuhr wütend mit den Krallen durch die
Luft.
»Wie hast du ihn gefunden?«, fragte ich.
Sie kratzte die Warze auf ihrer Stirn. »Er hat mich gefunden und ich habe keine Ahnung, wie. Er sah ziemlich mitgenommen aus
bei seiner Ankunft. Als ob jemand versucht hätte Hackfleisch aus ihm zu machen. Wie der kleine Kerl überhaupt fliegen konnte,
ist mir ein Rätsel.Ich habe ihn ein bisschen gepflegt und gehofft, ich könnte ihm das Würfelspiel beibringen. Aber der undankbare Wilde hat nicht
mitgemacht.«
Bei diesen Worten pfiff Verdruss heftig und fuhr wieder mit den Krallen durch die Luft.
»Ja, ja, ich habe ihn gegen seinen Willen in den Käfig gesteckt. Aber
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