Merode-Trilogie 3 - Löwentod: Historischer Krimi aus der Herrschaft Merode (German Edition)
bringen können. Die Gesichter der Befragten waren so ahnungslos wie zuvor gewesen, und der Anfang des Fadens lag immer noch im Verborgenen, selbst wenn er tausend Pfeile in einem Astloch treffsicher versenken würde. Die Ernüchterung hatte Mathäus wieder eingeholt.
Am Abend war er ins „Carolus Magnus“ eingekehrt, um seinen Frust mit einer Kanne Bier herunterzuspülen. Da er aber merkte, dass die anwesenden Bauern hinter vorgehaltener Hand über ihn sprachen – sicherlich ging es um das anstehende Bogenschießen –, hatte er das Wirtshaus schon bald entnervt wieder verlassen und war nach Hause gegangen. Zu allem Überfluss hatte er im letzten Rest des Tageslichtes versucht, seinen Kunstschuss zu wiederholen. Diesmal freilich war sein Pfeil weit am Ziel vorbeigezischt und in einem Strauch verschwunden, aus dem schimpfend ein paar Vögel aufgeflogen waren. Wütend auf sich selbst hatte Mathäus seine letzten Weinbestände getrunken, bevor er schwankend in sein Bett gestiegen war. Erst in den frühen Morgenstunden, als die Sonne bereits ihr erstes Licht voranschickte, hatte er etwas Schlaf gefunden.
Als Mathäus erwachte, glaubte er, sein Schädel müsse zerspringen. Draußen krähten Legionen von Hähnen um die Wette. Mathäus war versucht, seinen geräderten Leib zur Seite zu drehen und weiterzuschlafen, doch eine innere Stimme warnte ihn eindringlich davor.
Das Erntefest!
Verdammt, er durfte nicht liegen bleiben. Ächzend hievte er sich auf die Kante seines Bettes und rieb sich mit breiten Händen durchs Gesicht. Drei Tage lang hatte er sich nicht rasiert; nun wurde es höchste Zeit. Als Dorfherr von Merode konnte er schließlich nicht wie ein gemeiner Strauchdieb auf dem Hahndorn erscheinen. Außerdem gedachte er den Wettstreit mit Würde und Anstand zu verlieren – nun ja, zumindest soweit das möglich war.
Das Bogenschießen! Paulus!
Bei dem Gedanken an den Wettstreit mit dem Burgvogt überkam Mathäus saure Übelkeit. Er eilte zum Fenster und übergab sich. Danach ging es ihm besser.
Er wusch und rasierte sich, holte frische Beinlinge, ein blutrotes Leinenhemd und einen mit Nieten besetzten Ledergürtel aus einer Truhe hervor. Endlich war er bereit für den Gang zum Hahndorn, er brauchte nur noch auf Jutta und Maria zu warten, die versprochen hatten, ihn abzuholen. Gemeinsam würden sie dann zum Dorfplatz gehen, wo der Festtag traditionsgemäß mit einem Gottesdienst unter freiem Himmel begann.
Der Gedanke an Jutta und Maria verbesserte die Laune des Dorfherrn auf wundersame Weise. Mit ihnen an seiner Seite würde sich das unvermeidliche Desaster besser verkraften lassen.
Als es endlich an seiner Tür klopfte, zupfte Mathäus ein letztes Mal die Falten aus seiner Kleidung und öffnete die Tür. Maria grinste schelmisch zu ihm empor. Auf ihren Schultern ruhten Juttas feine Hände. Auch die Geliebte, die ein vornehm anzuschauendes blaues Kleid trug, lächelte vieldeutig. Spangen, die in der milden Morgensonne blitzen, hielten ihr langes schwarzes Haar zusammen. Mathäus stockte der Atem. Jutta sah einfach zauberhaft aus.
„Was grinst ihr denn so?“, fragte Mathäus.
„Wir grinsen doch nicht. Kommst du?“
Der Dorfherr schloss die Türe hinter sich. Er begrüßte Johann und Heilwig, Juttas Eltern, die ihre Tochter und ihr Enkelkind – oder wie immer man Maria auch nennen wollte – hierher begleitet hatten. Vom Unterdorf her näherten sich Scharen von Leuten. Die gesamte „Herrschaft“ schien auf dem Weg zum Hahndorn zu sein. Selbst die streitbaren Bauern Rudolf, Lupold und Walter, die dem Fest aus Protest hatten fernbleiben wollen, scherten sich nicht länger um ihr Geschwätz von gestern.
„Na schön, gehen wir“, verkündete Mathäus.
Jutta zupfte ihn am Ärmel. „Hast du nicht etwas vergessen?“
„Vergessen? Was denn vergessen?“
Jutta und Maria sahen sich an.
„Deinen Bogen“, kicherte Maria.
„Wie? Meinen Bogen? Ach, den ... Den holt mir später der Dietrich her“, erwiderte er mit betonter Gleichgültigkeit. „Oder soll ich der heiligen Messe etwa mit einer Waffe beiwohnen?“
Jutta fiel in Marias Gekicher ein.
Johann trat neben den Dorfherrn und zog ihn zur Seite. „Lasst die Weiber nur ihre Späße machen, Mathäus. Aber Ihr werdet es diesem aufgeblasenen Burgvogt schon zeigen, nicht wahr?“
Mathäus lächelte gequält. Einerseits war er glücklich, eine solche Sympathiebekundung aus Johanns Mund zu vernehmen. Noch vor zwei Sommern wäre dies undenkbar gewesen. Andererseits war
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