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MERS

MERS

Titel: MERS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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Karl.«
    »Vielleicht sollte ich dich am Bahnhof
verabschieden.«
    »Bahnhofsabschiede sind furchtbar.«
    »Da hast du recht.«
    »Ich ruf dich an, sobald ich dort bin.«
    »Ich bestehe darauf. Und ich bin die ganze Zeit über bei
dir. Ja?«
    »Ja.«
    »Hab dich lieb, Schatz.«
    »Ich dich auch.«
    Sie legte auf. Sie war nicht dumm. Er hatte nicht mitkommen
wollen, und sie nahm es ihm nicht übel. Sie selbst ging ja nur
wegen Mama, und er hatte sie noch nicht einmal kennengelernt.
    Sie rief Liese an, ehe sie ging, aber dort nahm niemand ab.
Harriet wäre an diesem Morgen gleichfalls nicht zu Hause
gewesen, wenn sie sich nicht dazu entschlossen hätte, einen
Arbeitskreis über Genetik sausen zu lassen und ihre
Aufzeichnungen niederzuschreiben. Gnasher war nicht da – ein
schattiges Beet Katzenminze unten an der Straße nahm ihn bei
dem heißen Wetter in Anspruch –, also ließ sie sein
Futter draußen auf Karls Terrasse stehen. Daraufhin nahm sie
eine Straßenbahn zum Bahnhof.
    Es gab eine Umleitung. Irgendeine Anti-Parthenoge-nese-Gruppe
hatte eine Bombe durch ein Fenster des Forschungszentrums mitten in
der Stadt geworfen. Sie war nicht explodiert, aber die Gegend wurde
abgesperrt, während NatSich sich darum kümmerte. Die
Polizei kümmerte sich schon längst nicht mehr um Bomben. Es
gab große Vorbehalte gegen das Klonen, gegen das, was die
Revolverblätter ›Jungfrauen-Geburten‹ nannten.
    Trotz der Verspätung erwischte Harriet den Zug um ein Uhr
dreißig.
    Jenseits der Außenbezirke der Stadt waren die Felder der
Zentralebene staubig und bleich unter der hochsommerlichen Sonne.
Dies war der dritte heiße Sommer in Folge. Heiße Sommer
und bitterkalte Winter. Die Leute sprachen von Sonnenflecken, von der
Ozonschicht, von Änderungen des Golfstroms. Harriets Interessen
lagen bei der Mikrobiologie. Sie hatte keine Meinung.
    Während der Zug südwärts zur Küste rollte,
überfiel sie ein jäher Gedanke: ihr Vater war tot, und sie
hatte nicht geweint. In den Büchern hieß es, Weinen sei
eine gesunde Reaktion. Therapeutisch. Sie entschloß sich, bis
zur Beerdigung darauf zu warten. Wie es sich angehört hatte,
würde ihre Mutter Papa beerdigen lassen. Trotz Margarethe
Osterbrook und der Kirche von Gott der Mutter entschloß sich
Harriet, die Beerdigung das Ihre tun zu lassen und dabei eine
Träne oder zwei zu verdrücken. Dafür waren
Beerdigungen da.
    Am Knotenpunkt stieg sie in den Zubringerzug, der durch das steile
Windstrohm-Tal fuhr. Es war Ebbe, die Schlammbänke dampften in
der Hitze. Als der Zubringer Brandt International passierte, blickte
Harriet unverwandt auf den Fluß hinaus, weg von dem dunklen,
bedrohlich wirkenden Wald oberhalb von Brandts spitzen Dächern.
Nicht, daß er noch immer dort gewesen wäre.
    Ihre Tasche war nicht schwer, sie hatte nichts Schwarzes finden
können, und sie schwang sie leicht, als sie am Cafe ›Zum
Neuen Jahrhundert‹ vorüberging. Sie hatte ihrer Mutter
gesagt, sie sei gegen sechs Uhr da. Sie kam etwa zehn vor sechs.
    Daniel war ihr zuvorgekommen. Als sie die Vordertür
öffnete, hörte sie ihn und Mama unten in der Küche
streiten. Sie ging die Treppe hinab und ließ ihre Tasche
lautstark in ihrem Schlafzimmer auf der anderen Seite des Flurs zu
Boden fallen, ehe sie zu ihnen ging. Sie hatten sie gehört.
Danno lehnte ruhig am Fenster, sah hinaus, und Mama räumte
klirrend die Spülmaschine aus und warf
Küchenschranktüren zu. Sie sah schrecklich aus. Eine
erloschene, verbogene, durchgeweichte Zigarette hing ihr von der
Unterlippe herab. Danno war in Zivil, trug kurze Hose und T-Shirt: er
hatte seine Uniform seit seinem allerersten Besuch nicht zu Hause
getragen. Manche Dinge lernte er.
    Mama veranstaltete weiterhin Lärm. »Harriet. Gott sei
Dank bist du hier, Kind. Endlich jemand Vernünftiges. Du
mußt mir sagen, was zu tun ist. Sie versuchen, sich aus Papas
Pensionsansprüchen herauszuwinden.«
    Scheiße. »Nicht jetzt, Mama. Wir werden später
darüber reden.« Danno hatte ihnen noch immer den
Rücken zugekehrt. Er hatte sich nicht gerührt. »Hallo,
Danno. Tag.«
    »Hallo, Harri.«
    Er blickte sich nicht um. Er weinte. Stellvertretend für sie
und Mama. Es war eine therapeutische Reaktion.
    Sie hörte sich selbst. Jesses, was waren sie für eine
Familie! Was für ein Familienmitglied war sie, was für eine
Schwester, Tochter! Sie durchquerte den schattigen Raum, lehnte sich
neben Daniel an und legte ihm den Arm um die Schultern. Er griff
schmerzhaft nach ihrer

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