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MERS

MERS

Titel: MERS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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Grabstätte. Ebenso wie
die Stollmans, Julius und Anka. Sie nahm sie zur Kenntnis,
lächelte, ging jedoch nicht zu ihnen hinüber. Sie erinnerte
sich nicht, wann sie zuletzt Klavier gespielt hatte: seitdem sie Karl
kannte, überhaupt nicht mehr. Sie hatte sie nicht gebeten zu
kommen, was schade war, vieles war schade. Auch ihre Mutter, da war
sie sich gewiß, hatte sie nicht um ihr Kommen gebeten. Aber sie
wohnten nur einen Schritt weit weg, auf dem Gelände, das Eckert
hieß, und alle in der Stadt wußten, was hier geschah.
    Viele, viele blickten mit kleinen, dunklen, blitzenden Augen
über die niedrige Friedhofsmauer. Hatte sie je zu dieser Stadt
gehört? Unter ihnen, jedoch abseits, ebenso neugierig wie sie,
stand die hiesige Vikarin in einem großzügigen
geblümten Kleid. Harriet erkannte sie nur deshalb, weil sie
ziemlich auffällig ein kleines, schwarzes, ledergebundenes Buch
mit einem vergoldeten Kreuz auf dem Einband in Händen hielt.
    Im Leichenschauhaus des Krankenhauses hatte ein Portier bei Papas
Sarg geholfen. Jetzt gab es hier nur die Familie, und Mama war von
keinem Nutzen. Julius Stollman trat vor, und Anka. Sie ließen
den Sarg zwischen den Seitenwänden des Wagens herausgleiten.
Margarethe Osterbrook hielt sich abseits, sie durchblätterte das
eigene schwarze, ledergebundene Buch. Harriet war froh darum.
Margarethe Osterbrook war eine Fremde.
    Das Grab war auf traditionelle Weise ausgehoben worden. Auf der
einen Schmalseite war eine Schräge, über welche sie den
Sarg hineingleiten ließen, gehalten an einer breiten schwarzen
Borte. Margarethe Osterbrook sagte zu ihnen: »Die Menschheit,
geboren aus dem Schoß einer Frau, hat nur eine kurze Zeit zu
leben und kennt viel Kummer…«
    Seemöwen kreisten über ihnen. Kinder waren auf dem
Schulhof unten an der Straße, und beider Schreie vermengten
sich.
    »… Wir wachsen und werden geschnitten wie Blumen, kurz
ist unsere Freude, jedoch kostbar. Mitten im Leben sind wir vom Tod
umgeben: bei wem sollen wir Trost finden als bei Dir,
Allmächtige Mutter?«
    Schaufeln lehnten an dem langen Erdhaufen. Sie reichte sie sanft
den beiden Männern und den fünf Frauen, die um das Grab
herum standen, wie Pfänder der Erinnerung. Harriet trieb ihre
Schaufel in die trockene, körnige Erde. Die ersten Schaufeln
Erde, die auf den Sarg fielen, verursachten ein hohles, polterndes
Geräusch.
    »Nun, da es der Allmächtigen Göttin in Ihrer
großen Gnade gefallen hat, die Seele Ihres geliebten Sohnes
Johan Ryder zu Sich aufzunehmen, übergeben wir seinen Leichnam
der Erde: Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu
Staub…«
    Die Sonne stand hoch, auf dem Friedhof gab es keinen Schatten, und
Harriet schwitzte. Die anderen um sie her waren geschäftig.
Mamas kleine Hackversuche wurden kräftiger, als sie ihren
Rhythmus fand. Danno war in einer Art Raserei. Das Grab füllte
sich rasch.
    Harriet schwang ihre Schaufel wie ein Bauer: und inmitten des
Todes, dachte sie, sind wir vom Leben umgeben. Und sie
schwitzte, bückte sich und schaufelte, schaufelte und klopfte
die Erde zu einem langen, schmalen Hügel, der auf den Leichnam
darunter hinwies, und sie weinte. Sie hatte es nicht für
möglich gehalten, aber genau dafür waren Beerdigungen
da.
    Daniel war gestolpert, und einer seiner Schuhe war voller Erde. Er
stand auf dem anderen Fuß, während Margarethe Osterbrook
ihr Gebet beendete.
    »Wir sagen Dir Dank, daß es Dir gefallen hat, unseren
Bruder Johan aus dem Elend dieser sündigen Welt hinwegzunehmen,
und wir bitten Dich, daß bald die Zahl Deiner Auserwählten
erreicht und die Erfüllung Deiner Ziele hier auf Erden vollendet
ist…«
    Jetzt waren Leute vom lokalen Fernsehen da, spät, aber sie
waren nicht wegen Johan Ryders Beerdigung gekommen: die Kameras der
Misttypen waren auf Margarethe Osterbrook gerichtet. Daniel wartete,
bis sie ihr Gebet beendet hatte, und humpelte dann davon. Hinter sich
hörte er, wie sie Fragen beantwortete:
    »Ich bin hier, weil ich gebraucht werde und weil es zum
Glück einen freien Platz in meinem Terminkalender gab.
    Nein, ich kenne Johan Ryder nicht persönlich, aber Bess Ryder
ist jetzt seit fünfzehn Jahren Mitglied der Kirche von Gott der
Mutter.
    Ja, ich glaube daran, daß Selbstmord eine Sünde ist,
aber Gott die Mutter lehrt uns, die Sünde zu hassen und den
Sünder zu lieben.«
    Daniel verließ den Friedhof. Er humpelte an der Schule
vorüber, wo es jetzt ruhig war, und die School Lane entlang zum
städtischen Spielplatz. Er setzte

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