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MERS

MERS

Titel: MERS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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Hand.
    »Er hat’s jetzt überstanden«, flüsterte
sie. Daniel gab keine Antwort. Er zitterte am ganzen Körper.
    »Warum später darüber reden, Kind? Warum nicht
jetzt? Jetzt führ dich mir gegenüber nicht auch noch
blauäugig auf, Harri. Diese Dinge sind wichtig.«
    »Natürlich sind sie wichtig, Mama. Ich meinte einfach
bloß…«
    »Das Leben geht weiter, Harri. Oder ist das ein zu trivialer
Gedanke für dich?«
    Sie drückte Daniel die Schultern und küßte ihn
linkisch auf die Wange. Dann ging sie in den Raum zurück.
    »Wegen Papas Altersvorsorge.« Mama hatte auch ihre
Bedürfnisse. »Brandt mag sich winden, aber sie werden sie
ganz bestimmt herausrücken. Heutzutage zeigen sie ausgesprochen
gern das fürsorgliche Gesicht des Kapitalismus. Es würde
keinen guten Eindruck hinterlassen, eine arme, unschuldige Witwe an
den Bettelstab zu bringen…«
    Daniel hielt es nicht aus. Er zog die Schultern ein, während
sie weiterredeten. Eine arme, unschuldige Witwe – lieber,
Tränen vergießender Jesus, sie tanzte gerade auf Papas
Grab.
    Er sah zum Hafen hinaus. Wie konnte das alles aufhören? Die
kleinen Schiffe unten auf dem Wasser sprangen ihm ins Auge, jedes
einzelne hell und klar. Die Häuser auf der anderen Seite wirkten
so nahe, daß er sie hätte berühren können. Das
war wirklich. Tod war unwirklich. Papa konnte nicht aufhören.
Das war völlig sinnlos.
    Sie tanzte auf Papas Grab – sie rief Oma an, sie rief die
Vikarin an, sie rief Brandt an, sie rief einen Anwalt an, sie rief
ein Blumengeschäft an, sie rief wegen der Beerdigung an, sie
rief das Krankenhaus an, sie rief die Polizei an, sie rief die
Lokalredaktion der Zeitung an. Irgendwie überstand er den
restlichen Abend. Harriet fabrizierte eine Mahlzeit aus der
Tiefkühltruhe. Sie holte im ›Pelikan‹ sein Bier. Sie
aßen zusammen am Küchentisch. Das Essen schmeckte wie
Sägemehl, das Bier wie Pisse. Er konnte es nicht mit ansehen. Er
wollte den Fernseher einschalten, doch Harri schüttelte den
Kopf, wobei sie verstohlen auf ihre Mutter blickte.
    Der Sergeant hatte ihm eine Woche Urlaub wegen einer dringenden
Familienangelegenheit gewährt, er hatte gesagt, Daniels Mutter
würde in dieser schweren Zeit seine Unterstützung
benötigen. In Hab-Acht-Stellung im Kompaniebüro hatte
Daniel ihm geglaubt. Aber, wie er irgendwo gelesen hatte, aus der
Ferne war alles vom Zauber umgeben. Er würde gleich nach der
Beerdigung gehen.
    Seine Mutter hatte die Beerdigung auf morgen, elf Uhr vormittags,
angesetzt. Es war kein großer Clan aus Familie und Freunden zu
versammeln, lediglich Mrs. Hand von nebenan, die bei seiner Ankunft
bei seiner Mutter gewesen war, und Oma, die bereits unterwegs war.
Und irgendwer von der bescheuerten Kirche seiner Mutter, der den
Gottesdienst abhielt. Sobald das vorüber war, wäre er auf
und davon.
    Er hielt sich an seinem Bier fest und merkte, daß es ihm in
den Kopf stieg. Zur Schlafenszeit war er hinüber. Harriet half
ihm die Stufen hinauf in sein Zimmer. Er fühlte sich deswegen
mies – Harri hatte ihren Papa ebenfalls verloren, und sie war
nur ein Kind.
     
    Beim Erwachen am Morgen war sein Vater noch immer tot.
    Bald nach dem Frühstück traf Oma von ihrer Insel ein.
Sie war die ganze Nacht lang unterwegs gewesen, aber sie
kümmerte sich um die drei, sogar um Harri, die den Tag
völlig fertig angefangen hatte, kaum in der Lage, die Augen zu
öffnen. Oma ließ Daniel das Wohnzimmer umräumen und
seine Mutter und Harri Salate und Soßen mit Meeresfrüchten
zubereiten, falls jemand nach dem Gottesdienst mit ihnen nach Hause
käme. Sie bestellte den Motor-Leichenwagen ab. Papas Leichnam
befand sich oben im Krankenhaus, auf dem Hügel oberhalb des
Friedhofs, also konnten sie den alten Handwagen mit den hohen,
schmalen Holzrädern benutzen. Oma kam aus der Stadt, aber sie
war altmodisch: gab es für eine Sache eine örtliche
Tradition, so wählte sie diese.
    Daniel wußte, daß er den Wagen zu lenken und
möglicherweise den größten Teil der Schieberei zu
erledigen hätte, aber er protestierte nicht. Oma brachte ihn
nicht so auf die Palme wie seine Mutter. Seitdem er zur Armee
gegangen war, hatte er sie nicht gesehen, und in seiner Erinnerung
war sie beträchtlich älter. Als erstes erzählte sie
ihm bei ihrer Ankunft, wie leid ihr alles täte und wie traurig
es wäre, daß sein Vater keine Familie hatte, die bei
seiner Beerdigung anwesend war, und dann fragte sie ihn, ob er die
Wünsche seines Vaters kennen würde. Als er

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