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MERS

MERS

Titel: MERS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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sich auf den Bronzesockel der
Statuen der beiden Kinder, zog den Schuh aus, der ihm Schmerzen
verursachte, und entleerte den Kies. Er setzte sich, den Schuh in der
Hand, und starrte auf den Ozean hinaus.
    Er würde nicht ins Haus unten zurückkehren, zu
Soßen mit Meeresfrüchten und zu seiner Mutter, die dabei
war, sich ihrer lahmen Berühmtheit anzubiedern. Er würde
schnurstracks zum Bahnhof gehen, sich den ersten Zubringerzug und am
Umsteigebahnhof einen Expreßzug zur Kaserne zurück nehmen.
Er hatte wenig bei sich gehabt, ein paar Sachen in einer Tasche, und
Harri konnte sie ihm nachschicken. Es gefiel ihm nicht, sie einfach
so zurückzulassen, sie hatten noch gar nicht miteinander
gesprochen, aber das war nicht seine Schuld: die Hälfte der Zeit
stand Harri anscheinend auf der Seite jener Frau. Vielleicht, weil
sie noch immer ein Kind war, nahm sie Partei für ihre
Mutter.
    Er zog sich den Schuh wieder an und lehnte sich an die Bronzebeine
der Kinder. Sein Kopf paßte unter den ausgestreckten Arm des
Jungen. Im Vergleich zur Kraft der Kinder, die unverrückbar
jahrelang in Wind und Regen, Eis und Schnee dagestanden hatten,
fühlten sich seine Knochen gefährlich zerbrechlich an. Erde
auf Papas Sarg zu schaufeln war das Schwierigste, was er je getan
hatte. Seine Knochen waren aus Glas, und wenn er daran rüttelte,
würden sie zerspringen. Allmächtiger Christus, er
wünschte, er könnte jetzt wieder in der Kaserne sein, ohne
die Mühe, die es bereitete, dorthin zu gelangen.
    »Daniel? Daniel, mein Sohn, warum hat er das getan?«
    Daniel schloß die Augen. Er drehte sich um und umarmte die
Körper der Kinder, klammerte sich daran. Klammerte sich
daran.
    »Es ist nicht fair, Daniel. War ich wirklich so
schrecklich?«
    Ja, Mama. Ja, du warst schrecklich. Du bist schrecklich. Frauen
sind schrecklich. Du bist die schlimmste.
    »Du gibst doch nicht mir die Schuld, nicht wahr, Daniel,
für die Tat deines Vaters?«
    Er öffnete die Augen. Es war wie ein Traum, einfach so, als
ob er aus weiter Entfernung auf den Spielplatz hinabblickte, auf sich
selbst neben den Statuen, auf seine Mutter, die allein auf dem gelben
Sommergras steht, auf seine Schwester am Eingang zum Spielplatz, die
zusieht, dann auf die School Lane und die Schule und dahinter auf den
Friedhof, auf die winzigen Fernsehleute und die winzige Margarethe
Osterbrook in ihrem blauen Gewand. Er sah sich zu, wie er die Statuen
sehr vorsichtig losließ und aufstand. Wenn er an seinen Knochen
rüttelte, würden sie zerspringen. Er ging um die Statuen
herum zu seiner Mutter. Er sah sich selbst, wie er sie anblickte, sie
wirklich anblickte, ihre abscheulichen Kleider und ihr abscheuliches
Gesicht.
    »Seine Arbeit hat ihn unglücklich gemacht, Daniel. Nicht
ich, seine Arbeit. Und der schreckliche
Bevölkerungsrückgang.«
    »Natürlich bist du’s nicht gewesen.« Der Traum
hörte auf, und er war wieder bei sich selbst, sah sie an, ihr
abscheuliches Gesicht. »Es war seine Arbeit. Er hat einmal mit
mir darüber gesprochen. Es war seine Arbeit.«
    »Du gibst nicht mir die Schuld?«
    »Ich kehre jetzt in die Kaserne zurück. Natürlich
gebe ich nicht dir die Schuld.«
    »Wann sehen wir… wann sehe ich dich wieder?«
    »Sehr bald.« Sie streckte die Hand nach ihm aus, aber er
mied sie. Er konnte sie anlügen, aber berühren konnte er
sie nicht. »Ich weiß es nicht. Sehr bald.«
    Sie akzeptierte das anscheinend. Wenn es einen Gott gab, Mutter,
Vater, irgendeinen Gott, wäre sie dort, wo sie stand,
niedergestreckt worden, verdorrt, verschrumpelt, die Haut in Streifen
vom Körper geschält.
    »Halt die Ohren steif, Mama! Bis bald.«
    Er ging um sie herum, an ihr vorüber und zu Harriet, die vom
Tor aus zusah.
    »Sag du es ihr, Harri«, meinte er. »Ich kann’s
nicht.«
    »Ihr was sagen? Für dich soll alles einfach sein, Danno.
Ist es aber nicht.«
    »Wenn sie anders gewesen wäre, wäre er noch immer
am Leben. Ist das nicht einfach?«
    »Wenn sie anderes gewesen wäre, wenn Brandt anders
gewesen wäre, wenn du anders gewesen wärst, wenn ich anders
gewesen wäre, wenn er an jenem Morgen den Bus zur Arbeit
verpaßt hätte. Um Gottes willen, Danno, wenn er anders gewesen wäre.«
    Harri war nur ein Kind. Sie stellte sich auf Mutters Seite. Sie
verstand nichts.
    »Dann geh ich jetzt. Du kommst ja bestimmt gut ohne mich
zurecht. Sag Liese alles Gute von mir.«
    »Paß auf dich auf, Danno. Paß auf dich
auf…«
    Sie legte die dünnen Arme um ihn, drückte ihn an sich,
und

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