Messertänzerin
die Stirn. »Könnt Ihr das etwas präziser ausdrücken?«
»Die Flut kam alle paar Jahre einmal so stark durch den Fluss, man konnte nie sagen, wann sie kam, nur dass es eines Tages wieder geschehen würde. Jemand wartete auf sie. Jemand, der lange schon Pläne gemacht und Gleichgesinnte um sich geschart hatte. Jemand, der die Gelegenheit nutzen wollte, um die Regierung an sich zu reißen.«
»Warkan«, murmelte Divya ganz selbstverständlich.
Yorak nickte, während Tajan die Finger ineinander verkrampfte.
»Von den Lichtern weiß ich, dass er und sechs andere Männer gleichzeitig Feuer legten, als die letzte Brücke überflutet wurde.«
»Und wie sind sie selbst dann von der Insel gekommen?«, fragte Divya.
»Kurz bevor der Palast unerreichbar wurde, haben sie Seile von einem Turm zum Wachturm am Ufer gespannt. Daran konnten sie sich später mit einem Haken hinüberhangeln.«
»Gleichgesinnte«, überlegte Divya. »Seine Berater?«
Tajan schüttelte den Kopf. »Nicht seine heutigen, denke ich. Sechs Männer aus seinem engsten Kreis wurden in den Jahren nachdem er Fürst wurde, ins Gefängnis geworfen. Angeblich wegen Verrats und Verschwörung. Ob das stimmt oder nicht, weiß ich nicht, aber wäre das nicht eine Lösung, um seine gefährlichsten Mitwisser verschwinden zu lassen?«
Divya stieß die Luft aus den Lungen. »Die Häuser derVerräter! Die leer stehenden Paläste, in denen sich heute die Rebellen treffen, haben einmal diesen sechs Männern gehört!«
Tajan lachte leise auf. »Wie passend!«
»Aber wie ist es Euch gelungen, die Bibliothek zu retten?«, fragte Divya Yorak.
»Glück. Verzweiflung. Angst«, erwiderte Yorak. »Vor allem aber Glück. Ich war mitten in einem Experiment. Dabei ging es um die Fähigkeit der Lichter , sich untereinander zu verständigen. Sie haben ein gemeinsames Bewusstsein, ganz einzigartig und fantastisch!« Yoraks Augen leuchteten auf. »Ich hatte so viele Lichter gerufen, wie schon lange nicht mehr, und sie verteilten sich über die Stadt und berichteten von verschiedenen Dingen, die sie sahen. Dadurch bekam ich als Erster die Warnung vor der Flut. Ich bat sie, die letzten Fischer auf dem Wasser zu schützen, die noch draußen waren, ein paar badende Kinder und die Menschen auf den Brücken. Die Lichter taten, was ihnen möglich war. Danach rief ich die Lichter wieder zu mir. Dann kam das Feuer. Ich wollte eine Brücke frei machen, um mit allen anderen darüber zu fliehen. Aber wie hätte ich ihnen sagen können, wohin sie gehen sollten? In dem Rauch und der Panik sah ich nur Einzelne von ihnen rennen und keiner hörte mir zu. Viele stürzten sich ins Wasser und versuchten zu schwimmen …«
Yorak blinzelte seine Tränen fort.
»Als mein Versuch fehlgeschlagen war, hörte ich einen gewaltigen Lärm aus dem Südtrakt. Die oberen Etagen stürzten in die unteren, Wände brachen ein, und der Rauch war so dicht, dass ich mich kaum noch orientieren konnte. Da rief ich meine Lichter zu mir und bat sie, dieBibliothek zu schützen. Ich setzte mich hinein, schloss die Augen und hasste mich dafür, dass ich versagt hatte.«
Yorak deutete auf die schimmernden Wände. »Irgendwann erwachte ich in diesem Raum, der keiner mehr war. Umgeben von tosendem Wasser, das sich immer stärker durch die Eingeweide der Insel fraß, durch irgendwelche alten Kellergänge. Um mich herum lagen Tonnen von Büchern, kreuz und quer, die Regale waren umgekippt und teilweise zerbrochen, aber kein Tropfen Wasser drang zu uns herein. All die Jahre habe ich mich gefragt, ob ich mehr hätte tun können. Ich war der oberste Magier von Pandrea und habe keinen einzigen Menschen retten können. Nur Tonnen von Papier.«
»Ich bin sicher, Ihr habt Euer Bestes getan«, sagte Divya mit dünner Stimme.
»Ihr habt also fünfundzwanzig Jahre lang die Bibliothek gehütet und mit keinem Menschen gesprochen?«, fragte Tajan nach einer Pause.
Yorak zuckte mit den Schultern. »Es gab wenig Möglichkeiten in dieser Zeit«, versuchte er zu scherzen. »Die Waghalsigen, die diese Insel betraten, um nach wertvollen Überresten zu suchen, interessierten mich nicht.«
»Jidaho und Leasar waren darunter. Sie hätten sicher gern mit Euch gesprochen«, sagte Divya.
Yorak wirkte überrascht. »Jidaho? Ihn hätte ich sehr gern getroffen. Leider bin ich ihm nicht begegnet.« Er seufzte. »Aber ich habe schlimme Dinge gesehen. Raffgier und Habsucht trieben wirklich seltsame Leute her, und ich versteckte mich meist vor ihnen.
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