Messewalzer
der lange Arm der Stasi den Ehrentraut auf dem Gewissen hat?«, fragte Kroll nachdenklich.
»Das denke nicht nur ich. Das gilt als gesichert. Nur beweisen kann es keiner, weil sämtliche Unterlagen, die sich mit dem Fall Ehrentraut befassen, verschwunden sind.« Oskar Jäger stand auf und ging durch den Raum. Seine anfänglichen Zweifel waren wie weggewischt. Mit jedem weiteren Wort, das er über den Fall berichtete, steigerte sich seine eigene Überzeugung von seiner Theorie. »Es ist doch völlig klar und wird von niemandem mehr in Zweifel gezogen, dass die Stasi prominente Überläufer auch im Westen weiterhin verfolgt hat. Davon berichten doch viele ehemalige Sportler und Trainer. Ich könnte dir unzählige Beispiele nennen …«
»Ich weiß, ich weiß«, wiegelte Kroll ab. »Aber wenn dieser Ehrentraut in den Straßengraben gefahren ist, wie soll die Stasi das angestellt haben?«
»Der Autounfall des berühmten Fußballers war natürlich das Thema im Westen. Unzählige Experten wurden zu dem Fall befragt. Und nicht wenige sind der Auffassung, dass es für die Alkoholkonzentration im Blut von Ehrentraut nur eine medizinische Erklärung geben kann, nämlich dass ihm der Alkohol direkt in die Adern gespritzt wurde.«
Kroll wirkte immer noch nachdenklich. »Aber war das nicht viel zu riskant? Ich meine, nicht jeder, der besoffen Auto fährt, fährt in den Graben. Warum haben die den nicht einfach erschossen? Das wäre doch viel sicherer gewesen.«
Oskar Jäger wiegelte ab. »Aber das hätte doch viel zu viel Aufsehen erregt. Man wäre sofort darauf gekommen, wer den Mord begangen hat. Das wollte die DDR nicht. Sie wollte international nicht als Mörderstaat dastehen. Nein, alle ›Auslandseinsätze‹ der Stasi wurden äußerst diskret abgewickelt und dazu gehörte vor allem, eine unauffällige Beseitigung der Opfer: Vergiftungen, radioaktive Verstrahlungen … oder eben Unfälle.«
»Aber …«, versuchte Kroll einzuhaken, doch Jäger ließ sich jetzt nicht mehr aufhalten. »Die Stasi hatte eine Technik, die man ›Verblenden‹ nennt. Ein entgegenkommender Autofahrer wird an einer unübersichtlichen, kurvenreichen Stelle geblendet, meist mit dem Fernlicht.« Er zuckte mit den Achseln. »Stell dir vor, du hast drei Promille im Blut und siehst auf einmal nichts mehr …«
Wiggins beobachtete Kroll aus den Augenwinkeln, er war neugierig, ob ihn die Erzählungen interessieren. »Und wie wurde ihm der Alkohol gespritzt?«
Jäger war ratlos. »Das kann man natürlich nur vermuten. Sie müssen ihn irgendwann nach der Vereinsfeier angehalten haben. Vermutlich unter einem Vorwand. Vielleicht hatten die einen Unfall vorgetäuscht und Ehrentraut hielt an um zu helfen.«
Kroll wusste immer noch nicht, was er von der Geschichte halten sollte. »Ich bin mir nicht sicher, ob uns das alles weiterhilft …«
Jetzt unterbrach ihn Wiggins. »Denk doch an die Abkürzung L.E. Wir sind die ganze Zeit davon ausgegangen, dass das Leipzig heißt. Der vollständige Name des Fußballers ist Lars Ehrentraut.« Wiggins stand auf und ging auf Kroll zu. »Und denk an die Zwangsadoption der kleinen Amelie Rosenthal. Das war eine Bestrafung für die Flucht des Vaters. Außerdem wusste dein ehemaliger Ausbilder Vogelsang, dass Amelies Vater definitiv rübergemacht hatte. Und er hat auch gesagt, dass es Gerüchte gab, er sei ein berühmter Sportler gewesen. Das passt wie die Faust aufs Auge!«
Kroll musste einräumen, dass an der Theorie durchaus etwas dran sein könnte. Seine Zweifel waren jedoch nicht beseitigt. »Amelie die Tochter von Ehrentraut? Ich weiß nicht, vielleicht ist das ja alles nur Zufall. Außerdem ist das schon lange her.«
»Wir müssen der Spur nachgehen!«, forderte Wiggins eindringlich.
Kroll dachte laut nach. »Auf dem USB-Stick stand Eimnot, L.E., AGMS und Goran. Also, selbst wenn wir einmal unterstellen, dass L.E. die Abkürzung von Lars Ehrentraut ist, was hat das mit Eimnot zu tun? Der hat doch mit Sicherheit nie in der BRD gelebt und bei der Stasi war der bestimmt auch nicht.«
Für einen Moment kehrte Ruhe ein. Auch Wiggins musste einräumen, dass das Argument seines Kollegen nicht von der Hand zu weisen war.
Kroll unterbrach das Schweigen. »Bleib da dran, Oskar. Wir müssen dieser Spur nachgehen! Alles andere wäre fahrlässig. Fahr nach Berlin und dreh da jeden Stein um. Rede mit Leuten, die wissen, wie die Auslandsabteilung der Stasi gearbeitet hat. Lass dir alles erklären und schnüffle noch mal in
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