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Messewalzer

Messewalzer

Titel: Messewalzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Stammkötter
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du mich sprechen?«
    Der Mann sah weiter in die Nacht. »Es wäre besser, wenn du aus Leipzig verschwindest. Am besten ins Ausland.«
    »Wieso?«
    »Weil es besser ist.«
    »Wurden nicht alle Spuren beseitigt?«
    »Nie werden alle Spuren beseitigt!«
    Der Mann trat die Zigarettenkippe auf dem Boden aus
    und steckte sich eine neue an. »Wovor hast du Angst?« Der alte Mann sah zu ihm rüber. Beim Aufglühen der
    Zigarette konnte er das Gesicht seines Besuchers erkennen. »In meinem Alter hat man keine Angst mehr.« »Aber was hast du dann?«
    »Die Toten soll man ruhen lassen!«

VIER
    Als Kroll am nächsten Morgen das Büro betrat, warteten Wiggins und der Kollege Oskar Jäger schon auf ihn.
    »Hör dir doch mal an, was der Oskar zu erzählen hat«, begrüßte ihn Wiggins.
    Kroll ging zum Kaffeeautomaten und füllte seinen Pott mit dem Bild des Leipziger Weihnachtsmarktes. »Schieß los!«
    »Vielleicht ist das alles nur Quatsch!«, versuchte Jäger, die Sache herunterzuspielen. »Ich hatte nur gestern Abend noch so eine fixe Idee. Mir ist halt die Sache mit der Zwangsadoption nicht aus dem Kopf gegangen. Ich musste die ganze Zeit an deine Ausführungen in der Mitarbeiterbesprechung denken. Ehrlich gesagt, es war wirklich nur so ein spontaner Einfall.«
    »Erzähl schon«, wurde Kroll ungeduldig. »Wir tappen doch eh noch völlig im Dunkeln. Schlimmer werden kann es auf gar keinen Fall.«
    Jäger machte eine Pause und sah die Kommissare abwechselnd an. Er räusperte sich. »Also … ich habe mir gestern die ganze Nacht den Kopf darüber zerbrochen, ob hinter der Zwangsadoption von diesem kleinen Mädchen nicht noch mehr stecken könnte, zum Beispiel persönliche Befindlichkeiten.«
    »Persönliche Befindlichkeiten?«, wiederholte Kroll ungläubig. »Von wem?«
    »Vermutlich ist die ganze Sache wirklich zu fantasievoll. Ich denke, ich mach mit meinen Recherchen weiter.«
    Wiggins wurde energisch. »Du bleibst gefälligst hier und erzählst Kroll deine Geschichte!«
    Oskar Jäger räusperte sich erneut, was er immer tat, wenn er verlegen war. »Also … es ist doch allgemein bekannt, dass Erich Mielke ein großer Fan des Fußballvereins FC Dynamo Berlin war. Alle guten Fußballer aus der DDR mussten dort spielen. Der Verein stellte fast den kompletten Nationalkader. Fußballer, die dort spielen ›durften‹, mussten dies von Amts wegen als große persönliche Ehre empfinden!« Jäger machte wieder eine rhetorische Pause. Kroll forderte ihn mit einer Geste auf, fortzufahren. »Umgekehrt war es für Mielke natürlich eine unvorstellbar große persönliche Kränkung, wenn ein Fußballer, der durch Mielkes Gnaden nach Berlin geholt wurde, den Verein wieder verließ oder sogar in den Westen floh. Dies ist, so weit ich weiß, auch nur einmal vorgekommen, nämlich 1981. Mielke musste nicht nur die Schande ertragen, dass ein Fußballspieler, den er persönlich unterstützt und gefördert hatte, in das kapitalistische Ausland abgehauen war, nein, die Fans im Stadion hatten auch regelmäßig die Anonymität der Masse genutzt, um ihren Protest gegen das System kundzutun. Bei Spielen waren monatelang hämische Sprechchöre wie ›Wo ist Ehrentraut‹ zu hören.«
    Kroll stellte seine Tasse auf den Schreibtisch. »Ich verstehe immer noch nicht.«
    »Der Ehrentraut ist 1981 nach einem Fußballspiel der Nationalmannschaft in München im Westen geblieben. Von dort ist er nach Bremen übergesiedelt und hat beim SV Werder gekickt. Zwei Jahre später starb er unter ganz mysteriösen Umständen.«
    Kroll wurde neugierig, obwohl er noch immer nicht abschätzen konnte, was das mit dem Mord an Willi Lachmann oder mit dem Fall Annemarie Rosenthal zu tun hatte. »Und was waren das für mysteriöse Umstände?«
    »Ehrentraut starb bei einem Autounfall. Er wurde mit seinem Wagen in einem Straßengraben gefunden. In seinem Blut konnten über drei Promille festgestellt werden. Das Eigenartige daran ist nur, dass Ehrentraut an diesem Abend, nur wenige Stunden vor dem Unfall, auf einer Vereinsfeier war. Und er hatte dort keinen einzigen Tropfen Alkohol getrunken. Das haben viele Zeugen übereinstimmend ausgesagt. Überhaupt hat er ohnehin nie etwas getrunken. Der war durch und durch Sportler. Und selbst wenn er sich nach dem Verlassen der Feier hemmungslos zugeschüttet hätte, hätte in der Kürze der Zeit nie ein Blutalkohol von über drei Promille anfluten können. Das wäre medizinisch gesehen gar nicht möglich.«
    »Du vermutest also, dass

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