Messewalzer
ich euch Willis ersten Roman vor meinem Lektorat zeigen würde, würdet ihr mit den Ohren schlackern.«
»Und wie läuft es mit dem Schröder-Verlag?«, wollte Kroll wissen.
»Gut! Das liegt natürlich daran, dass die unbedingt die Biografie machen wollen. Da habe ich natürlich eine sehr starke Verhandlungsposition.« Sie lächelte provozierend. »Und verhandeln kann ich ziemlich gut!«
Wiggins nickte anerkennend. »Das wird den Herren Gutbrot und Eigenrauch aber gar nicht gefallen. Die haben sich doch bestimmt auch schon Gedanken über eine Biografie von Willi Lachmann gemacht.«
Liane musste nicht lange überlegen. »Bei Eigenrauch bin ich mir gar nicht so sicher. Ich glaube, der ist einfach nur froh, dass das Kapitel Lachmann und Zeitraub zu Ende ist und er sich wieder in aller Ruhe auf seine Teppichflieger konzentrieren kann. Der Gutbrot hat mich natürlich angesprochen und gefragt, wie es aussieht. Dem kam die Idee mit der Biografie schon, als ich an so was noch gar nicht gedacht habe.«
»Und …?«, fragte Kroll.
»Ich konnte den blöden Kerl eigentlich noch nie leiden. Und wenn ich die Leichenfledderei sehe, die der zurzeit betreibt, wird mir immer noch ganz übel. Nein, mit dem mach ich definitiv keine Geschäfte mehr. Der soll die aktuellen Titel abrechnen und damit ist gut. Außerdem will ich ja ins Lektorat … und das bestimmt nicht bei Herrn Gutbrot. Eher würde ich mich erschießen.«
»Davon war der aber nicht begeistert«, hakte Kroll nach.
Liane zuckte mit den Schultern. »Mir doch egal!«
Das Klingeln von Krolls Handy unterbrach ihr Gespräch. Kroll drückte auf die grüne Taste und erfuhr von einem Kollegen der SOKO, dass Gutbrots Alibi geplatzt war. Der Zeitraub-Verlag hatte am Tattag tatsächlich eine Lesung in Auerbachs Keller abgehalten, Gutbrot hatte die Veranstaltung jedoch schon um 19.30 Uhr verlassen. Dies konnten mehrere Zeugen bestätigen. Der Fußweg von Auerbachs Keller zur Pfeifenstube betrug höchstens 15 Minuten. Gutbrot hätte also genug Zeit gehabt, zur Tatzeit vor dem Pfeifen- und Tabakladen zu sein, in dem Willi Lachmann seine ganz private Lesung veranstalten wollte.
Kroll beendete das Gespräch mit Liane Mühlenberg. »Ich glaube, wir müssen jetzt schnell zum Stand des Zeitraub-Verlages.« Dort angekommen, teilte man den Polizisten mit, dass Elmar Gutbrot zum Völkerschlachtdenkmal gefahren sei, er wollte sich dort mit jemandem treffen. Um wen es sich dabei handelte, wussten seine Mitarbeiter jedoch nicht.
Das 91 Meter hohe Denkmal, das an die entscheidende Schlacht der Befreiungskriege im Jahre 1813 erinnerte, in der Kaiser Napoleon eine empfindliche Niederlage gegen die Österreicher erlitten hatte, stand vor ihnen wie ein Fels in der Brandung. Bereits von Weitem waren die mächtigen Krieger zu erkennen, die seit nunmehr fast 100 Jahren von der oberen Außenseite des Denkmals aus Wache hielten.
Kroll und Wiggins gingen auf das Monument zu, wobei sie stets die Menschen in ihrer Nähe beobachteten. Gutbrot entdeckten sie nicht. Sie betraten zunächst die Krypta, die zum Gedenken an die über 100.000 Soldaten errichtet wurde, die während der Völkerschlacht zu Leipzig gefallen oder verwundet worden waren. Die acht Schicksalsmasken, deren brechende Augen den nahenden Tod der gefallenen Soldaten verkörpern, schienen die Besucher nicht zu beachten. Eine angenehme Kühle umgab die beiden Hauptkommissare.
»Lass uns mal nach oben auf die Aussichtsplattform fahren!«, schlug Wiggins vor. »Heute hat man einen tollen Ausblick. Im Anschluss können wir das ganze Denkmal systematisch von oben nach unten durchkämmen.«
Elmar Gutbrot lehnte in luftiger Höhe über der Brüstung und betrachtete gedankenversunken die Stadt. Kroll und Wiggins stellten sich neben ihn, der eine links, der andere rechts, und sahen gleichfalls in Richtung Innenstadt.
Gutbrot schien die unerbetene Gesellschaft nicht zu stören. »Ich komme für gewöhnlich hierher, wenn ich in Leipzig bin. Dieser ganze Ort ist wie ein Roman: Vor dir das pulsierende Leben, unter dir das blutige Schlachtfeld, drum herum die Geschichte von Krieg und Frieden und über allem liegt der Geruch des Todes!«
»Klingt deprimierend«, bemerkte Kroll.
»Ich weiß jetzt auch, warum diese elenden Nazis hier waren. Du findest zu deinen Füßen alle Stimmungen, die man für eine verworrene Ideologie braucht: die Helden, die Opfer, den Kampf, den Sieg, die Treue, den Glauben, das Blut, die Ehre, den Tod, die Unterwerfung,
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