Messewalzer
tief Luft. Sie malte mit dem Zeigefinger auf der weißen Tischdecke. »Ja … und als ich wieder nach Hause kam, entdeckte ich meinen Mann in unserem Ehebett …«
Wiggins wollte ihr die weitere Schilderung erleichtern. »Ich nehme an, mit einer anderen Frau.«
Frau Gutbrot schüttelte den Kopf. »Nein, mit einem anderen Mann!«
Kroll und Wiggins sahen sich ungläubig an.
»Aber das heißt ja … also dann muss er seine homosexuelle Neigung ja die ganze Zeit, die ganzen Jahre, geheim gehalten haben«, sagte Kroll zweifelnd.
»Für ihn war das bestimmt die Hölle. Vergessen Sie bitte nicht, Herr Kommissar, wir wohnen in Polling, einem Nest im tiefsten Bayern. Das ist nicht Berlin, Köln oder Leipzig, man kann sich nicht einfach outen. Homosexualität ist dort noch absolut verpönt. Elmar muss Qualen ausgestanden haben. Er musste ein Leben lang seine Sexualität verleugnen und der Gesellschaft das sogenannte normale Leben vorspielen, mit Frau und Kindern.«
»Und wie haben Sie reagiert?«, fragte Kroll.
Frau Gutbrot bestellte ein weiteres Glas Rosé. »Für mich war die Situation natürlich alles andere als einfach. Mein Mann hatte mich betrogen. Das hat mich natürlich sehr verletzt. Da war es mir auch erst einmal egal, ob das mit einem Mann oder einer Frau passiert ist. Ich habe mich natürlich gefragt, ob er mir die ganzen Jahre unserer Ehe etwas vorgespielt hat. Aber das glaube ich eigentlich nicht. Ich bin mir sicher, dass er mich trotz seiner Veranlagung sehr geliebt hat.«
Die Kellnerin brachte den Wein.
»Zuerst war ich sauer, dann tat er mir leid, dann dachte ich, er hat eigentlich kein Mitleid verdient, schließlich hatte er mich ja betrogen, dann kamen viele Ratschläge von vielen Leuten und, und, und.«
»Aber Sie haben Ihren Mann schließlich verlassen«, orakelte Kroll.
Frau Gutbrot nickte. »Ja! Meine Enttäuschung war zu groß. Das war die emotionale Seite. Aber es gab noch ein rationales Argument: Wenn seine homosexuellen Gefühle so stark waren, machte es keinen Sinn mehr, ihn an mich zu binden.«
Wiggins hatte Mühe, die ganze Geschichte zu begreifen. »Aber Sie haben doch noch einen Sohn! Wie hat er die Sache aufgenommen?«
»Unser Sohn hatte leider überhaupt kein Verständnis für seinen Vater. Er hat ihm vorgeworfen, seine Familie jahrelang betrogen und belogen zu haben. Unser Sohn hat von einem auf den anderen Tag mit seinem Vater gebrochen … unwiderruflich.«
Es kehrte für einen Moment Stille ein. Kroll und Wiggins wurde klar, dass der Mensch, mit dem sie noch vor wenigen Stunden auf dem Völkerschlachtdenkmal geredet hatten, in tiefer Verzweiflung gelebt haben musste.
»Er hat an diesem Tag alles verloren«, bemerkte Kroll leise.
Frau Gutbrot schaute in ihr Weinglas. »Er hatte seine Familie verloren. Sein ein und alles. Ich habe noch viel mit ihm geredet. Aber ein Zurück kam für mich nicht infrage. Das ging einfach nicht mehr.« Frau Gutbrot kramte ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und schnäuzte sich. »In letzter Zeit kamen finanzielle Probleme dazu. Der Verlag machte Verluste. Er hatte große Verpflichtungen. Die vielen Angestellten, die Kredite, der Unterhalt für unseren Sohn und mich. Ich glaube, das ist ihm alles über den Kopf gewachsen.«
Kroll überlegte einen Moment, ob auch er Gutbrot das Leben vielleicht zu schwer gemacht hatte. Hatte er ihn zu Unrecht verdächtigt? Hatte er ihn vielleicht zu hart angefasst? Aber woher sollte er denn wissen, dass sich Gutbrot in so einer bedrückenden Situation befand?
Frau Gutbrot unterbrach seine Gedanken. »Wenn Sie mich bitte entschuldigen. Ich bin müde und würde gerne zu Bett gehen. Wir sehen uns morgen früh. Ich möchte meinen Mann gerne verabschieden.«
Peter Eimnot war nicht überrascht, dass sein serbischer Freund ihn besuchte. Das tat er regelmäßig, wenn er in Leipzig war. Wie immer hatten sie sich in das kleine, schmuddelige Wohnzimmer gesetzt und becherten billiges Dosenbier. Der Serbe hatte noch eine Flasche Sliwowitz mitgebracht, den sie aus beschlagenen Wassergläsern tranken.
Der Serbe war groß und hager, mit breiten Schultern. Er schien nur aus Knochen, Muskelpaketen und Haut zu bestehen. Seine Arme waren bis zu den Fingern tätowiert, an der linken Halsseite saß eine Spinne. Die Tätowierung an der rechten Seite des Halses sollte wohl einen Vampirbiss darstellen, war aber nicht so gut gelungen. Unter dem rechten Auge hatte er sich eine Knastträne stechen lassen.
Als der Serbe eine Dose Bier
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