Messewalzer
Telefon. »Das ist bislang nicht mehr als eine Vermutung!«
Oskar Jäger ließ sich nicht von seinem Weg abbringen. »Wiggins, ich bitte dich! Das kann doch kein Zufall sein. Und jetzt denk doch bitte noch an die Abkürzung AGM/S. Die Auslandsabteilung der Stasi. Also, was wollt ihr noch mehr?«
Kroll zog das Gespräch wieder an sich. »Das war gute Arbeit bis jetzt, Oskar. Aber wenn du mich so fragst: Auf meinem Wunschzettel steht ganz oben die Frage, wo Amelie jetzt ist. Außerdem würde ich gerne mehr über die Hintergründe des Todes von Lars Ehrentraut erfahren. Und … wenn du schon einmal dabei bist, krieg doch bitte noch raus, wer dieser Goran ist. Über den wissen wir nämlich noch gar nichts!«
»Mach ich, Chef! Also bis dann!«
»Und, was hältst du von der ganzen Sache?«, fragte Kroll seinen Kollegen, nachdem Jäger aufgelegt hatte.
»Schwer zu sagen. Es scheint ja alles ganz gut zusammenzupassen. Aber irgendwie eine komische Geschichte. Vielleicht liegt das auch daran, dass wir bislang noch nichts mit diesen Dingen zu tun hatten.«
Kroll stand auf und ging zum Fenster. »Wer ist dieser Goran?«
Wiggins zuckte mit den Achseln.
Ein Mitarbeiter der Kriminaltechnischen Untersuchung kam herein und legte ein Blatt auf Krolls Schreibtisch. »Wir dachten, euch interessiert die letzte Route von diesem Gutbrot. Die war relativ einfach herauszukriegen, weil der Computer am Fahrrad das automatisch abspeichert. Der Rest kommt später. Die Zielperson ist vom Auerbachs Keller durch die Fußgängerzone, am Gebäude der Deutschen Bank über den Ring und dann immer geradeaus über den Petersteinweg bei uns vorbei, schließlich links ab in die Härtelstraße. Eigentlich der kürzeste Weg.«
Kroll versuchte, sich Gutbrots Aussage in Erinnerung zu rufen. »Hat Herr Gutbrot irgendwann eine Pause gemacht?«
»Nein, das haben wir gecheckt. Der hat nur einmal für genau 26 Sekunden angehalten, bevor er den Ring überquert hat. Wahrscheinlich musste er an einer Ampel warten.«
»Sonst keine Pause?«, hakte Wiggins noch einmal nach.
»Definitiv nicht!«
Als sie wieder alleine im Büro waren, betrachtete Kroll erneut die Aufzeichnungen der KTU. »Der hat nicht angehalten und irgendwo ein Gewehr aus dem Versteck geholt.«
Wiggins stimmte seinem Kollegen zu. »Wir müssen allerdings noch abklären, was Gutbrot in der Härtelstraße gemacht hat. Theoretisch wäre es möglich, dass er das Gewehr dort gebunkert hat und anschließend zu Fuß Richtung Pfeifenstube gegangen ist. Sicher ist sicher!«
Kroll sah auf die Uhr. »Komm, wir müssen zum Bahnhof. Frau Gutbrot kommt in einer Viertelstunde an.«
Der Leipziger Hauptbahnhof wurde kurz nach Beginn des Ersten Weltkrieges fertiggestellt. Die 13-jährige Bauzeit war dem monumentalen Gebäude ohne Weiteres anzusehen. Da bis zum Jahre 1934 die rechte Hälfte des Gebäudes in sächsischer und die linke Hälfte in preußischer Verwaltung war, wurden sämtliche Anlagen doppelt ausgeführt. Die eine Seite ist das perfekte Spiegelbild der anderen.
Mit Frau Gutbrot hatten sie sich vor dem Blumengeschäft im Eingangsbereich der Westhalle verabredet. Sie zog einen Rollkoffer hinter sich her und ging direkt auf die Polizisten zu. Nach einer kurzen Begrüßung brachten Kroll und Wiggins die Witwe in das Hotel Michaelis im Zentrum-Süd. Sie warteten im Restaurant auf Frau Gutbrot, die zunächst ihren Koffer aufs Zimmer bringen wollte.
Als sie zurückgekehrt war, bestellte sie sich einen trockenen Rosé aus der Provence.
Frau Gutbrot begann nachdenklich das Gespräch, ohne die Fragen der Polizisten abzuwarten. »Irgendwie hatte ich schon lange die Befürchtung, dass es mal so weit kommen würde. Elmar wurde immer schwermütiger, depressiver.« Sie trank gierige Schlucke von ihrem Wein. »Keiner konnte ihm helfen, er tat mir einfach nur noch leid. Er war ja nicht einmal selbst schuld an seiner Situation.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Kroll.
»Das ganze Drama begann eigentlich vor gut drei Jahren.« Sie sah die Polizisten unsicher an und spielte dann an dem Serviettenring. »Ich wollte für ein paar Tage meine Schwester besuchen und fuhr von Polling Richtung Augsburg. Nachdem ich circa eine Stunde unterwegs war, fiel mir ein, dass ich wichtige Medikamente auf dem Küchentisch vergessen hatte. Die Medikamente sind verschreibungspflichtig, ich muss sie regelmäßig einnehmen. Mir blieb nichts anderes übrig, als nach Polling zurückzukehren.«
Frau Gutbrot pausierte und holte
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