Messewalzer
ganz besonders. Es war auf der Tribüne eines Fußballstadions aufgenommen worden, offenbar unmittelbar vor der Siegerehrung.
Kroll schloss den Karton, um ihn wieder in das Nachttischchen zu legen. Er zögerte. Das Bild, das er sich zuletzt angesehen hatte, war für die weiteren Ermittlungen von großer Wichtigkeit. Aber es gab juristische Probleme. Seine heimliche Schnüffelei würde ihm jeder halbwegs sattelfeste Verteidiger um die Ohren hauen. Und was sollte er Vogelsang sagen, wenn sein alter Ausbilder wieder aus dem Krankenhaus zurückkam? Er hatte hinter seinem Rücken spioniert, als er mit dem Leben rang. Kroll hielt inne. Er nahm das Foto heraus und steckte es zwischen die Schlafanzüge. Sein Gewissen beruhigte er mit dem Argument, dass er das Foto ja wieder zurücklegen könnte, bevor Vogelsang wieder aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Das würde ja sicherlich ein paar Wochen dauern. Und dann waren sie vielleicht schon weiter und er konnte auf offiziellem Wege einen Durchsuchungsbefehl beantragen.
Er ging ins Bad, holte das Waschzeug und fuhr ins Revier.
Wiggins empfing ihn mit einem schlechten Gewissen. »Tut mir leid, Kroll, wenn ich vorhin …«»Ist gut«, unterbrach ihn Kroll. »Schau dir lieber mal das Foto an. Das habe ich in Vogelsangs Nachttischchen gefunden.«
Wiggins musterte seinen Kollegen ungläubig. »Hast du etwa …«
»Zufallsfund!«, raunzte Kroll. »Jetzt komm schon her.« Er holte die Aufnahme von der Tribüne heraus und zeigte auf eine Person, die unauffällig zwischen den Zuschauern saß. »Das ist Bernd Vogelsang!« Während Wiggins das Bild betrachtete, lief Kroll aufgeregt hin und her.
Wiggins lehnte sich zurück. »Wir können sicher sein, dass Frau Kuttner uns bestätigen wird, dass sie dieses Foto Willi Lachmann gegeben hat.«
»Und jemand hat es für Vogelsang aus Willis Wohnung geholt …«, führte Kroll den Gedanken seines Partners fort.
»… unmittelbar nach dessen Ermordung!«, ergänzte Wiggins.
Kroll ging zum Fenster und sah hinaus. »Bernd Vogelsang hat den Fußballer Ehrentraut auf dem Gewissen. Und Lachmann hat das herausgekriegt!«
»Alles andere ergäbe keinen Sinn«, bestätigte Wiggins.
Kroll ging zu seinem Schreibtisch, griff nach der Wasserflasche, die dort stand, und führte sie zum Mund. »Und deshalb musste Lachmann sterben.« Er setzte sich an seinen Schreibtisch und massierte sich die Stirn. »Aber wieso Eimnot? Was hat der Mord an Annemarie Rosenthal mit der ganzen Geschichte zu tun?«
Wiggins zuckte mit den Achseln.
»Was macht die Fahndung nach diesem Goran?« »Wie vom Erdboden verschluckt«, bemerkte Wiggins lakonisch. »Dieser Arzt, Dr. Dankner, hat ihn zuletzt gesehen. Das ist auch schon alles.«
Plötzlich sprang Kroll auf und rannte aus dem Büro. »Moment, ich hab da eine Idee«, rief er Wiggins noch zu, bevor die Tür hinter ihm zuknallte. Er stürmte die Treppen hinunter bis in den Keller des Präsidiums, in dem sich die Asservatenkammer befand. Die Aufsicht über die Beweisstücke führte Jupp, der seit einigen Jahren pensioniert war, jedoch nicht von seiner Arbeit lassen konnte und seine Dienste weiterhin als ›Freier Mitarbeiter im Justizdienst‹ anbot. Eine sinnvolle Aufgabe für den alleinstehenden Rentner und eine willkommene Sparmaßnahme für den öffentlichen Haushalt.
Jupp saß an seinem staubigen Schreibtisch und löste Kreuzworträtsel. Wie immer trug er seinen blauen Kittel über der abgewetzten hellen Cordhose. Als er Kroll sah, leuchteten seine Augen. Jupp war dankbar für jede Abwechslung, und über Krolls Erscheinen freute er sich ganz besonders, weil der sich für gewöhnlich ein wenig Zeit für eine Unterhaltung nahm und nicht so gestresst oder gar herablassend war wie viele andere Kollegen.
Kroll legte seine Hand auf die Schulter des alten Mannes. »Na, Jupp, immer noch auf der Suche nach des Rätsels Lösung?«
Der Hüter der Asservatenkammer hielt das Rätselheft in die Höhe und machte ein ernstes Gesicht. »Mit ein wenig Glück gewinne ich eine Lamadecke und zwei Flaschen Vita Buerlecithin. In meinem Alter braucht man so etwas.«
Kroll riss Jupp die Zeitung aus der Hand und sah sich das Rätsel genauer an. »Redensart für ›Zum Veräppeln brauch ich keinen anderen‹?«
»›Verarschen kann ich mich selbst!‹«, lachte Jupp.
Kroll lehnte sich an ein Regal an. »Und, mein Lieber, sonst geht’s dir gut? Oder bringt dich der Stress langsam um?«
Der Rentner schaute besorgt drein. »Ist hart an
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