MetaGame: Science-Fiction Thriller (German Edition)
durchsichtigem, purpur- und goldfarbenem Stoff. Nur in einem der Dutzend Betten lag ein Benutzer, ein offenbar schlafender, massiger Mann. Farbiges Licht aus einer unsichtbaren Quelle lief wellenförmig in allen Regenbogentönen über Wände, Decke und Fußboden. Die Strahlen fielen gleichfalls durch die feine Gaze der Bettvorhänge und erzeugten dadurch einen atemberaubend schönen 3-D-Effekt. Es gab keine Empfangsdame, lediglich eine hohe und verzierte Flügeltüre, welche die Wand vor ihm beherrschte. Ringsumher pulsierte ein tiefes, rhythmisches Summen. D_Lights Skinsoftware gab nichts wieder, da der Raum als Dunkelzone angelegt war – ein Bereich, wo keinerlei Nanosites zur Unterstützung von SkinWare die Wände bedeckten. D_Light suchte sich ein Wartebett aus, setzte sich auf die Kante und ließ die Beine baumeln. Die leise umherhuschenden Lichtmuster, bei Weitem bezaubernder als eine altertümliche Lavalampe, waren ebenso wirklich wie das tiefe, rhythmische, pulsierende Geräusch, das die Luft erfüllte. Obwohl er sich alle Mühe gab, schlief D_Light rasch ein.
D_Light wurde ruckartig wach. »Krarr, krarr, krarr«, kreischte der SeaGuy™. Den Kopf, einer Seemöwe ähnlich, hatte er zur Seite gelegt, und er betrachtete D_Light mit einem hervortretenden rosigen Auge. Rumpf, Becken und Beine waren diejenigen eines nackten und unmöglich muskulösen Mannes. Büschel aus weißen Federn wechselten sich wild mit Flecken aus schwarzem, lockigem Menschenhaar ab. Die Fußknöchel des Ungeheuers verschwanden in den schwimmhäutigen Füßen einer Seemöwe. Anstelle von Armen hatte er prächtige Seemöwenflügel, die er jetzt weit spreizte. Die Kreatur wedelte rasch ein paar Mal mitihrem gigantischen gefiederten Hinterteil, hob zugleich den Schnabel und kreischte ein weiteres Mal lautstark:
»Krarr, krarr, krarr!«
D_Light musste einfach ein wenig kichern beim Anblick des Avatars, den er für Mutter Lyra entworfen hatte.
Mann, mit dem habe ich aber echt ins Schwarze getroffen
, dachte er.
»Oh, D_Light, hast du ein paar Fischies für mich?« Blut und orangefarbener Schlick strömten ihm beim Sprechen aus dem Schnabel und rannen die gefleckte Brust hinab. Die Stimme war guttural mit kreischenden Untertönen.
D_Light nahm an, dass dieser bizarre Empfang hier einfach dazugehörte. Mutter Lyra war anscheinend eine der wenigen Adeligen sowohl mit genügend Selbstsicherheit hinsichtlich ihrer Stellung als auch genügend Sinn für Humor, dass sie sich selbst nicht allzu ernst nahm – oder auch irgendwen anders. Er entschloss sich, entsprechend zu reagieren.
»Ähm, keinen Fisch, aber draußen im Flur ist ein Wächter, den kannst du haben.« D_Light sprang aus dem Wartebett und verneigte sich formell vor dem riesigen holografischen Vogelmann. Ein Luchs, in dem D_Light Mutter Lyras Vertrauten vermutete, stand nur wenige Schritte dahinter. Gewiss projizierte der Vertraute den holografischen Avatar auf Lyras Geheiß.
Der Seevogel vollführte eine ausholende Geste mit einem seiner Flügel und bat D_Light, durch das Portal vor ihm zu treten, das sich anscheinend geöffnet hatte, während er geschlafen hatte. Er verneigte sich vor dem Tier und schritt in den formellen Salon.
Der Raum hatte gewaltige Ausmaße, was D_Light zu dem sicheren Schluss veranlasste, dass Mutter Lyra wirklich ein Liebling des Hauses Tesla sein musste. Ein unscheinbarer Mann saß in einem Sessel links. D_Light erkannte ihn nicht, aber das Wappen des Mannes war Hinweis auf einen Adeligen. Er musterte D_Light, als habe er nichts Interessanteres zu tun. D_Light wusste es besser und erwiderte den Blick seines Vaters nicht. Lyra, die auf und ab schritt wie ein Jaguar im Käfig, tat gewiss mehrere Dinge zugleich, fern und gedankenverloren, deutlichzu erkennen an ihrem fixen, leeren, starren Blick. Während D_Light wusste, dass sie einen Teil ihres Gehirns zur Kontrolle des Vogelmann-Avatars benötigte, konnte er nur rätseln, was sie mit dem anderen Teil tat. Was es jedoch auch war, es musste etwas mit dem zu tun haben, weswegen er herbeizitiert worden war, und das beunruhigte den leicht verängstigten D_Light.
Der Vogelmann zeigte mit einem Flügel auf einen hochlehnigen Stuhl und befahl D_Light, in einer Ecke Platz zu nehmen. Daraufhin hüpfte er zu dem stummen Edelmann hinüber, der D_Light nach wie vor meditativ musterte, steckte ihm den Schnabel ins Ohr und kreischte leise
krarr, krarr, krarr
, wobei die
Krarrs
rasch, wie aus der Pistole geschossen,
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