Meteor
durch Corkys Eingeständnis, dass der Nickelgehalt ein wenig außerhalb des zu erwartenden Mittelwerts gelegen habe, neue Nahrung erhalten, auch wenn die meisten Anhaltspunkte auf die Echtheit des Meteoriten hinwiesen. Einen »Meteoriten« heimlich ins Eis einzubringen, war nur im Gesamtzusammenhang eines brillant eingefädelten Betrugsmanövers sinnvoll.
Gleichwohl sprach die sonstige Beweislage immer noch für die Echtheit des Meteoriten.
Rachel wandte den Blick vom Fenster und betrachtete die scheibenförmige Meteoritenprobe in ihrer Hand, in der die winzigen Chondren glitzerten. Tolland und Corky hatten sich in für Rachel unverständlichem Wissenschafts-Chinesisch schon seit einiger Zeit über diese metallischen Einschlüsse unterhalten. Was unter dem Strich herauskam, war Rachel dennoch klar: Tolland und Corky waren sich einig, dass die Chondren unzweifelhaft meteoritischer Natur waren. Daran führte kein Weg vorbei.
Rachel drehte die Steinscheibe in der Hand und ließ den Finger über das Stückchen Schmelzrinde am Rand gleiten. Die Verkohlung sah eigentlich ziemlich frisch aus – bestimmt nicht dreihundert Jahre alt –, doch Corky hatte ja erklärt, dass der im Eis eingeschlossene Meteorit einen idealen Verwitterungsschutz gehabt hatte, was auch logisch erschien. Rachel erinnerte sich an eine Fernsehsendung über die Bergung einer viertausend Jahre alten Leiche aus dem Eis, deren Haut nahezu unversehrt war.
Während Rachel die Schmelzrinde betrachtete, fiel ihr auf, dass gar kein Alterswert dafür ermittelt worden war. Sie fragte sich, ob er schlichtweg in der Datenflut untergegangen war, oder ob man einfach vergessen hatte, ihn ihr gegenüber zu erwähnen.
»Hat man eigentlich auch die Schmelzrinde datiert?«, sagte sie unvermittelt zu Tolland und Corky.
Corky blickte auf. »Was?«
»Hat man die Verbrennungen datiert? Ich meine, wissen wir eigentlich, ob die Schmelzrinde sich genau zum Zeitpunkt des Jungersol-Meteoriten gebildet hat?«
»Tut mir Leid«, sagte Corky. »Das kann man nicht datieren. Die Oxidation verfälscht sämtliche Isotope, die man zur Datierung heranziehen kann. Außerdem kann man mit der Methode des radioaktiven Zerfalls keine Zeiträume unter fünfhundert Jahren messen.«
»Dann könnte dieser Brocken also im Mittelalter oder erst letzte Woche verbrannt sein, richtig?«
»Niemand hat behauptet, dass die Wissenschaft für alles eine Antwort parat hat«, sagte Tolland lächelnd.
Rachel nickte nachdenklich. »Eine Schmelzkruste«, sagte sie,
»ist im Prinzip nichts anderes als das Ergebnis einer sehr starken Erhitzung. Die Verbrennungen dieses Brockens könnten innerhalb der letzten fünfhundert Jahre also zu jedem erdenklichen Zeitpunkt und auf jede erdenkliche Weise entstanden sein.«
»Falsch!«, sagte Corky. »Auf jede erdenkliche Weise nicht. Nur auf eine Weise, nämlich beim Sturz durch die Atmosphäre.«
»Eine andere Möglichkeit besteht nicht? Zum Beispiel in einem Hochofen?«
»In einem Hochofen!«, amüsierte sich Corky. »Wir haben die Proben unter einem Elektronenmikroskop untersucht. Selbst der sauberste Hochofen der Welt hätte überall auf dem Brocken Brennstoffrückstände hinterlassen, egal ob von nuklearem, chemischem oder fossilem Brennstoff. Keine Chance! Und was ist mit den Vertiefungen und Rillen, die vom Sturz durch die Atmosphäre herrühren?«
An die so genannten Striationen hatte Rachel gar nicht mehr gedacht. Der Meteorit schien tatsächlich durch die Atmosphäre gestürzt zu sein. »Und was ist mit einem Vulkan? Könnte es sich um Auswurf handeln, der bei einer Eruption mit großer Kraft herausgeschleudert wurde?«
Corky schüttelte den Kopf. »Der Brocken ist viel zu sauber. «
Rachel schaute Tolland an. »Corky hat Recht, Rachel. Ich konnte einige Erfahrungen mit Vulkanen sammeln – über und unter Wasser. In vulkanischem Auswurf finden sich Dutzende von Toxinen. Ob es uns gefällt oder nicht, diese Schmelzrinde ist das Ergebnis einer sauberen Verbrennung durch Bremswärme in der Atmosphäre.«
Rachel schaute wieder zum Fenster hinaus. Eine saubere Verbrennung. Die Phrase ging ihr nicht aus dem Kopf. Sie wandte sich wieder an Tolland. »Was meinen Sie mit ›saubere Verbrennung‹?«
Tolland hob die Schultern. »Dass unter dem Elektronenmikroskop keinerlei Rückstände von Brennstoffbestandteilen zu erkennen sind. Dadurch wissen wir, dass die Erhitzung durch die Umwandlung von kinetischer Energie in Wärme erfolgt ist, einfach
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