Meteor
sie noch vertrauen konnte.
Sie ging in den Empfangsraum zurück und trat in den breiten Gang, der auf der anderen Seite zu der mit zwei Flaggen gesäumten massiven Eichentür von Sextons Büro führte – die amerikanische Nationalflagge rechts und die Flagge des von ihm vertretenen Staates Delaware links. Die stahlverstärkte Tür war wie fast alle Bürotüren im Haus mit Sicherheitsschlössern, einem elektronischen Kartenschließsystem und einer Alarmanlage gesichert.
Gabrielle wusste, dass ihr ein ungestörter Aufenthalt von lediglich ein paar Minuten in diesem Büro genügen würde, um sich auf alle ihre Fragen Gewissheit zu verschaffen. Die schwer gesicherte Tür zu überwinden, auf die Gabrielle zuging, war unmöglich, da machte sie sich keine Illusionen; aber sie hatte etwas anderes im Sinn. Drei Meter vor der Tür wandte Gabrielle sich scharf nach rechts und trat in die Damentoilette. Die Leuchtstoffröhren schalteten sich automatisch ein und erfüllten den gekachelten Raum mit kaltem weißem Licht. Gabrielle erblickte ihr Spiegelbild. Wie immer wirkten ihre Züge weicher, als ihr lieb war, beinahe schon zart. Ihre Stärke war ihr selten anzusehen.
Gabrielle wusste, dass Sexton ungeduldig auf ihre Ankunft wartete, um sich von ihrem Erkundungsvorstoß in Sachen PODS berichten zu lassen, aber es war ihr auch klar geworden, dass Sexton sie heute Abend manipuliert hatte. Und das mochte Gabrielle überhaupt nicht. Der Senator war nur mit einem Teil der Wahrheit herausgerückt. Die Frage war, wie viel er ihr vorenthalten hatte. Die Antwort wartete in seinem Büro – unmittelbar hinter der Wand dieser Toilette.
»Fünf Minuten!«, sagte Gabrielle entschlossen zu ihrem Spiegelbild.
Sie streckte sich und fuhr mit der Hand über den Türrahmen des Vorratskämmerchens für das Toilettenzubehör. Ein Schlüssel fiel klappernd herunter. Das Reinigungspersonal des Philip-A.-Hart-Gebäudes bestand aus Bundesangestellten. Jedes Mal, wenn irgendwo gestreikt wurde, waren die dienstbaren Geister tagelang nicht zu sehen, und in der Toilette gab es kein Papier, keine Handtücher, keine Tampons, bis die Damen von Sextons Büro die Dinge selbst in die Hand genommen und sich für »Notfälle« einen Schlüssel für die Abstellkammer organisiert hatten.
Und heute ist ein Notfall, dachte Gabrielle.
Sie öffnete die Kammer. Schrubber und Besen fielen ihr entgegen. Die Regalbretter dahinter waren voll gestopft mit Papierwaren aller Art. Gabrielle hatte vor einem Monat auf der Suche nach einer Rolle Papierhandtücher eine ungewöhnliche Entdeckung gemacht. Um die auf dem obersten Brett liegende Rolle zu erreichen, hatte sie mit einem Besenstiel danach geangelt und dabei ein Deckenpaneel beiseite gestoßen. Als sie hinaufgeklettert war, um die Platte wieder an ihren Platz zu rücken, hatte sie völlig unvermutet laut und kristallklar die Stimme des Senators vernommen.
Am Klang hatte sie erkannt, dass er ein Selbstgespräch im Badezimmer seines Büros führte, das von dieser Abstellkammer augenscheinlich nur durch ein paar leicht herausnehmbare Kunststoff-Deckenpaneele getrennt war.
Gabrielle schlenkerte die Schuhe von den Füßen, kletterte die Regalbretter hinauf, ließ das Paneel aus seinen Halteklammern schnappen und zog sich durch die Öffnung. So viel zum Thema nationale Sicherheit, dachte sie und fragte sich, gegen wie viele Staats- und Bundesgesetze sie jetzt wohl verstieß.
Auf der anderen Seite ließ sie sich durch die Decke wieder herunter. Ihre bestrumpften Füße fanden Halt auf dem kalten Porzellan von Sextons Bürowaschbecken. Sie sprang auf den Boden.
Mit angehaltenem Atem ging sie hinaus in Sextons Büro.
Die Orientteppiche auf dem Boden fühlten sich warm und weich an.
106
Fünfzig Kilometer entfernt strich ein schwarzer Kiowa-Kampfhubschrauber im Tiefflug über die Wipfel der Krüppelkiefern von Nord-Delaware. Delta-1 überprüfte die Koordinaten, die er ins automatische Navigationssystem eingegeben hatte.
Durch die Verschlüsselungselektronik von Rachels Bordfunk und Pickerings Handy war zwar der Inhalt der Kommunikation geschützt, aber Delta-1 hatte nur den Standort der Signalquelle feststellen wollen. Satellitengestützte globale Navigationssysteme und computerisierte Triangulation hatten die haargenaue Einpeilung von Übertragungssignalen zu einem sehr viel einfacheren Vorgang gemacht als die Entschlüsselung des Inhalts der Signale.
Delta-1 amüsierte sich immer wieder über die Ahnungslosigkeit
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