Meteor
der sofort herbeigeeilt war, nachdem man ihn verständigt hatte, stand im Wohnzimmer und hielt eine kleine Pressekonferenz ab. Stoisch verkündete er der Welt, seine Frau sei auf dem Rückweg vom Thanksgiving-Dinner im Familienkreis bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Rachel stand im Hintergrund und weinte sich während der makabren Darbietung die Augen aus.
»Ich wünschte nur, ich hätte an diesem Wochenende zu Hause bei meiner Frau sein können, dann wäre das nicht passiert«, sagte der Senator mit Tränen in den Augen in die Kameras.
Wenn du nur schon vor ein paar Jahren so klug gewesen wärst!, dachte Rachel zornbebend.
Von diesem Abend an zog Rachel sich immer mehr von ihrem Vater zurück. Der Senator schien es kaum zu bemerken. Stattdessen benutzte er das Vermögen seiner verstorbenen Frau dazu, von seiner Partei als Präsidentschaftskandidat nominiert zu werden. Der Sympathiegewinn durch den Todesfall kam ihm dabei zugute.
Grausamerweise trieb der Senator dadurch Rachel in die Vereinsamung, denn sein Ansturm auf das Weiße Haus hatte Rachels Traum von einer eigenen Familie in unabsehbare Ferne gerückt. Für Rachel war es einfacher, den vollständigen Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben anzutreten, als sich des endlosen Stroms machthungriger junger Washingtoner Bewerber zu erwehren, die sich Hoffnungen machten, eine trauernde potenzielle Präsidententochter zu erobern.
Vor der F-14 schwand das Tageslicht. In der Arktis herrschte Spätwinter – die Zeit der arktischen Nacht. Rachel wurde klar, dass ihr Flug sie in ein Gebiet konstanter Dunkelheit führte. Als die Minuten verstrichen, schwand das letzte Tageslicht. Die Sonne war hinter dem Horizont versunken. Sie flogen weiter nach Norden. Ein heller Dreiviertelmond ging auf und hing weiß in der kristallklaren arktischen Luft. Tief unten schimmerten die Wellenkämme des Ozeans. Die Eisschollen blinkten wie Brillanten auf einem dunklen Paillettengewebe. Endlich erspähte Rachel den dunklen Umriss von Land. Aber es entsprach keineswegs dem, was sie erwartet hatte. Vor dem Flugzeug ragte eine riesige, schneebedeckte Gebirgskette aus dem Wasser.
»Berge?«, fragte Rachel. »Nördlich von Grönland gibt es Berge?«
»Offensichtlich«, sagte der Pilot. Er schien selbst überrascht zu sein.
Als die F-14 mit der Nase nach unten ging, empfand Rachel eine unheimliche Schwerelosigkeit. Ein wiederkehrendes elektronisches »Ping« drang durch das Klingeln in ihren Ohren. Der Pilot hatte die Maschine offenbar auf einen Leitstrahl gesetzt.
Sie waren nun unter neunhundert Meter gesunken. Rachel schaute auf das mondbeschienene Terrain hinunter. Vom Fuß der Berge fiel eine riesige, schneebedeckte Ebene ungefähr fünfzehn Kilometer weit bis zur Küste sanft ab, wo sie mit einem senkrechten Gletscherabbruch ins Meer abrupt endete.
Dann sah Rachel etwas, das sie noch nirgendwo auf Erden erblickt hatte. Anfangs dachte sie, das Mondlicht würde ihren Augen einen Streich spielen, doch je tiefer das Flugzeug ging, desto klarer konnte sie es erkennen.
Was ist das?
Die Ebene unter ihnen sah aus, als hätte jemand mit Silberfarbe drei riesige breite Streifen in den Schnee gemalt. Die glänzenden Streifen verliefen parallel zum Gletscherabbruch. Erst als die Maschine nur noch hundertfünfzig Meter hoch war, hatte das optische Verwirrspiel ein Ende. Die drei Silberstreifen waren Mulden von über dreißig Metern Breite. Sie hatten sich mit Wasser gefüllt, das gefroren war, sodass sich jetzt drei parallele silbrige Eisbahnen quer übers Plateau erstreckten. Hohe weiße Schneewälle füllten den Zwischenraum.
Starke Turbulenzen schüttelten die Maschine bei ihrem Anflug aufs Plateau. Rachel hörte, wie das Fahrwerk ausfuhr und mit einem dumpfen Knacken einrastete, doch sie konnte immer noch keine Landebahn entdecken. Während der Pilot die bockende Maschine unter Kontrolle zu halten versuchte, sah Rachel an den Rändern der mittleren Eismulde zwei Reihen von Blinklichtern aufblitzen. Zu ihrem Entsetzen erkannte sie das Vorhaben des Piloten.
»Wir landen doch nicht etwa auf dieser Bobbahn?«
Der Pilot gab keine Antwort. Mit äußerster Konzentration manövrierte er die Turbulenzen aus. Rachel spürte ein Ziehen in den Eingeweiden, als er Fahrt wegnahm und in den Eiskanal hineinsteuerte. Rechts und links schossen dem Flugzeug die hohen Schneewälle entgegen. Rachel hielt den Atem an. In diesem Eiskanal würde der kleinste Steuerungsfehler den sicheren Tod
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