Metro 2034
soll ich den Leuten dort denn sagen?«, kläffte der Vorsteher zurück. »Dass sie sich gedulden sollen? Dass ich ihnen gute Besserung wünsche? Dass Hilfe unterwegs ist? Dass sie sich alle eine Kugel in den Kopf jagen sollen? Mir hat schon das Gespräch mit den Flüchtlingen gereicht!«
»Halt endlich den Mund«, befahl Hunter leise. »Hör mir lieber zu. In vierundzwanzig Stunden bin ich mit einer Truppe zurück. Ich will, dass man mich an allen Posten ungehindert passieren lässt. Die Serpuchowskaja hältst du geschlossen. Wir gehen bis zur Tulskaja und erledigen unsere Arbeit. Falls nötig, werden wir das auch an der Serpuchowskaja tun. Wir veranstalten einen kleinen Krieg. Die Zentrale brauchst du nicht zu informieren. Du brauchst überhaupt nichts zu tun. Ich sorge schon selbst dafür . dass die Stabilität wiederhergestellt wird.«
Der Vorsteher nickte schwach. Entkräftet sank er in sich zusammen wie ein löchriger Fahrradschlauch. Er goss sich noch einen Schnaps ein, roch daran, und bevor er das Glas leerte, fragte er leise: »Du wirst bis zum Ellenbogen im Blut wühlen. Schreckt dich das nicht?«
»Blut lässt sich mit Wasser abwaschen«, erwiderte der Brigadier. Als sie das Büro verließen, holte der Stationsvorsteher tief Luft und rief mit donnernder Stimme den Diensthabenden zu sich. Der stürzte hinein, und die Tür schloss sich krachend hinter ihm. Homer hatte auf Hunter gewartet. Nun ließ er ihn einige Schritte vorausgehen, dann beugte er sich über das Schreibpult des Wachhabenden, riss den Hörer von dem blinkenden Apparat und hielt ihn gegen sein Ohr. »Hallo!
Hallo!Ich höre!«, flüsterte er in die Sprechmuschel. Stille. Aber die Stille war nicht dumpf, wie bei einem durchgeschnittenen Kabel, sondern eher hohl, als ob jemand den Hörer auf der anderen Seite abgehoben hätte, doch jetzt nicht zugegen war, um Homer zu antworten. Als ob dieser jemand am anderen Ende sehr lange auf eine Reaktion gewartet und dann die Geduld verloren hatte. Als ob der Alte mit seiner gebrochenen Stimme in das Ohr eines Toten sprach.
Hunter hatte sich auf der Schwelle umgedreht und warf einen missbilligenden Blick auf Homer. Dieser legte den Hörer vorsichtig wieder zurück und folgte dem Brigadier gehorsam.
»Popow!Popow!Aufstehen!Schnell!« Die starke Lampe des Kommandeurs strahlte durch die Lider und setzte das Hirn über seinen Pupillen in Brand. Eine kräftige Hand schüttelte ihn an der Schulter, dann fuhr sie mit heftigem Schwung über Artjoms unrasiertes Gesicht. Dieser öffnete mühsam die Augen, rieb sich die brennende Wange, sprang von seiner Liege, stellte sich stramm und salutierte. »Wo ist deine Waffe? Schnapp sie dir und dann mir nach!«
Schon seit Tagen schliefen sie alle in Uniform. Artjom wickelte seine Kalaschnikow aus, die ihm, mit einem Stofffetzen umhüllt, als Kissen gedient hatte, und trottete müde hinter dem Kommandeur her. Wie lange hatte er geschlafen? Eine Stunde? Zwei? Sein Kopf dröhnte, die Kehle fühlte sich trocken an.
»Es geht los«, rief ihm der Kommandeur über die Schulter zu. Artjom roch seine Fahne. »Was geht los?«, fragte er ängstlich. »Das wirst du gleich sehen. Da hast du ein Ersatzmagazin. Du wirst es brauchen.« Die geräumige, säulenlose Tulskaja, die aussah wie der obere Teil eines riesigen Tunnels, lag fast ganz im Dunkeln. Nur an ein paar Stellen zuckten schwache Lichtstrahlen auf; sie bewegten sich völlig plan- und sinnlos hin und her, als ob Kinder oder Affen die Lampen hielten. Doch woher sollten auf einmal Affen hier auftauchen? Mit einem Mal war Artjom hellwach. Er begriff sofort, was los war, und begann fieberhaft sein Sturmgewehr zu kontrollieren. Sie hatten nicht standgehalten!Oder war es noch nicht zu spät?
Aus der Wachstube kamen, schlaftrunken und heiser, zwei weitere Kämpfer herausgelaufen und schlossen sich ihnen an. Der Kommandeur trommelte also unterwegs die letzten Reserven zusammen, jeden, der sich noch auf den Beinen hielt und eine Waffe tragen konnte. Einige von ihnen husteten bereits.
Durch die schwere, verbrauchte Luft drang ein seltsames, unheilvolles Geräusch an ihre Ohren. Kein Schrei, kein Heulen, kein Befehl - ein Stöhnen aus Hunderten von Kehlen, gequält, voller Verzweiflung und Grauen. Ein Stöhnen, eingerahmt von einem kargen, metallischen Klappern und Knirschen, das gleichzeitig aus zwei, drei, zehn verschiedenen Richtungen kam.
Auf dem Bahnsteig war eine riesige Barrikade aus zerrissenen und eingefallenen Zelten,
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