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Metro 2034

Metro 2034

Titel: Metro 2034 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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die hundertmal gewesen. Dann fand ich diesen Klingelknopf und ließ es tagelang läuten. Vergebens.«
    »Warum hast du mich belogen?« Sie ging auf ihn zu, und ihre rechte Hand griff wie von selbst nach ihrem Messer. »Was habe ich dir getan? Warum tust du das?«
    »Ich wollte dich ihnen wegnehmen.« Der Anblick des Messers brachte den Musiker völlig durcheinander, doch anstatt fortzulaufen, setzte er sich auf die Gleise. »Ich dachte, wenn ich mit dir allein bin.«
    »Und warum bist du jetzt hier?« »Schwer zu sagen.« Ergeben blickte er sie von unten an.
    »Wahrscheinlich habe ich kapiert, dass ich zu weit gegangen bin. Nachdem ich dich hierhergeschickt hatte, bin ich ins Grübeln geraten. Die Seele wird ja nicht schwarz geboren. Anfangs ist sie klar und durchscheinend, und erst allmählich dunkelt sie nach, Flecken für Flecken, jedes Mal, wenn du dir etwas Böses verzeihst, eine Rechtfertigung dafür findest, dir sagst, dass es doch nur ein Spiel ist. Irgendwann nimmt die Schwärze dann überhand. Selten bemerkt man diesen Augenblick selbst, denn von innen ist er schwer zu erkennen. Aber mir wurde plötzlich klar, dass ich genau hier und jetzt eine Grenze überschreite und von da ab ein anderer Mensch sein werde. Für immer. Und deshalb bin ich hier, um alles zuzugeben.
    Weil du es nicht verdient hast.« »Warum haben alle so eine Angst vor dir? Warum knicken sie alle ein?« »Nicht vor mir«, seufzte Leonid. »Vor meinem Vater.« »Was?« »Sagt dir der Name ‚Moskwin‘ nichts?«
    Sascha schüttelte den Kopf. »Nein.« Der Musiker lächelte betrübt. »Da bist du wahrscheinlich die Einzige in der ganzen Metro. Jedenfalls ist mein Vater ein großer Boss. Der Boss der Roten Linie. Er hat mir einen Diplomatenpass ausstellen lassen, also lassen sie mich durch. Der Name kommt nicht so häufig vor, da will keiner Probleme bekommen. Höchstens mal, wenn einer nicht Bescheid weiß .«
    Sascha war wieder zurückgetreten und sah ihn abschätzig an. »Und was beobachtest du so? Hat man dich deswegen losgeschickt?« »Rausgeschmissen haben sie mich. Als Papa kapierte, dass aus mir kein richtiger Mann wird, verlor er die Lust an mir. Und so mache ich jetzt ab und zu seinem Namen Schande.« Leonid zog eine Grimasse. »Hast du dich mit ihm gestritten?« »Wie kann man mit dem Genossen Moskwin streiten? Er ist doch ein Denkmal!Sie haben mich verbannt und verflucht. Weißt du, ich war schon als Kind ein Narr in Christo. Ich mochte nur schöne Bilder, Klavierspiel, Bücher. Daran ist meine Mutter schuld - sie wollte eigentlich ein Mädchen.
    Als mein Vater dahinterkam, hat er versucht mich für Feuerwaffen und Parteiintrigen zu begeistern, aber es war schon zu spät. Mutter brachte mir das Flötespielen bei, und Vater trieb es mir mit dem Riemen wieder aus. Den Professor, der mich unterrichtete, schickte er in die Verbannung und stellte mir einen Politruk zur Seite. Alles vergebens. Ich war schon durch und durch verdorben. Ich hasste die Rote Linie, sie war mir immer zu . grau. Ich wollte ein farbenfrohes Leben, wollte Musik machen, Bilder malen. Also ließ mich mein Vater einmal ein Mosaik zertrümmern, zu pädagogischen Zwecken. Damit ich lernte, dass alles Schöne vergänglich war. Und ich zerschlug es, damit ich keine Prügel bekam. Doch während ich das tat, merkte ich mir jedes Detail genau, selbst jetzt noch könnte ich es wieder zusammensetzen. Seither hasse ich meinen Vater.« »Das darfst du nicht sagen!«, rief Sascha entsetzt.
    »Ich schon.« Leonid lächelte. »Andere werden dafür erschossen. Das mit der Smaragdenen Stadt . hat mir einmal mein Professor erzählt. Im Flüsterton, als ich noch ganz klein war. Also beschloss ich, dass ich den Eingang unbedingt finden würde, wenn ich groß bin. Es muss doch irgendwo auf dieser Erde einen Ort geben, wo das, wofür ich lebe, einen Sinn hat. Wo alle dafür leben. Wo ich nicht ein kleiner, hässlicher Nichtsnutz bin, kein weißhändiger Prinz, kein Erb-Dracula, sondern ein Gleicher unter Gleichen.«
    »Und du hast ihn nicht gefunden, diesen Ort.« Sascha steckte das Messer weg. Sie hatte den Kern all dieser Worte gefunden. »Denn es gibt ihn nicht.«
    Leonid zuckte mit den Schultern. Er erhob sich, ging zu dem Klingelknopf hinüber und drückte darauf. »Wahrscheinlich spielt es keine Rolle, ob mich da drüben jemand hört oder nicht. Wahrscheinlich spielt es keine Rolle, ob es diesen Ort auf der Erde überhaupt gibt. Hauptsache, ich glaube, dass er irgendwo existiert.

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