Metro 2034
geschwätzigen Kollegen anderer Stationen, ihre Zunge im Zaum. In dem kleinen Sparta, das sich verzweifelt an dieses Fleckchen Erde am Ende der Welt klammerte, kam es vor allem darauf an, dass man zuverlässig war und unerbittlich im Kampf. Hier galten Geheimnisse noch etwas.
Doch warum gab Hunter dies alles nun wieder auf? Warum zog er freiwillig zur Hanse und riskierte damit, erkannt zu werden? Er hatte sich selbst für dieses Kommando gemeldet - Istomin hätte es nie gewagt, ihn damit zu beauftragen. Bestimmt war es nicht das Schicksal der vermissten Aufklärer, das den Brigadier interessierte. Auch für die Sewastopolskaja kämpfte er nicht, weil er diese Station so sehr liebte, sondern sicher aus anderen Gründen, die nur ihm bekannt waren.
Vielleicht hatte er einen Auftrag zu erfüllen? Das würde vieles erklären: sein plötzliches Erscheinen, seine Geheimnistuerei, die Ausdauer, mit der er im Tunnel Stellung hielt, schließlich seine Entscheidung, unverzüglich zur Serpuchowskaja aufzubrechen. Doch warum hatte er sich dann verbeten, die anderen zu informieren? Wer außer ihnen konnte ihn geschickt haben? Wer?
Nein, es war unmöglich. Hunter, der eine Stütze des Ordens war? Ein Mensch, dem Dutzende, wenn nicht Hunderte von Menschen ihr Leben verdankten -darunter Denis Michailowitsch selbst? Nein, dieser Mensch wäre zu Verrat nicht in der Lage. Aber war dieser aus dem Nichts zurückgekehrte Hunter denn noch derselbe? Und wenn er im Auftrag von jemandem handelte, hatte er dann eine Art Signal erhalten? Bedeutete dies, dass das Verschwinden der bewaffneten Karawanen und Aufklärungstroikas kein Zufall war, sondern eine sorgfältig geplante Operation? Und was für eine Rolle spielte dann der Brigadier selbst?
Der Oberst schüttelte heftig den Kopf, als wolle er all diese Vermutungen fortschleudern, die wie Blutegel an ihm hingen und immer stärker anschwollen. Wie konnte er so von einem Menschen denken, der ihm das Leben gerettet hatte? Außerdem hatte Hunter der Station bisher fehlerlos gedient und keinen Anlass für Zweifel geboten. Also verbot Denis Michailowitsch sich, den Brigadier auch nur in Gedanken als Spion oder Diversanten zu verdächtigen, und traf seine Entscheidung. »Noch eine Tasse Tee, dann gehe ich zu den Jungs«, sagte er übertrieben schwungvoll und knackte mit den Fingern.
Istomin riss sich von dem Metroplan los und lächelte müde. Er wollte schon die Wählscheibe seines alten Telefons betätigen, um den Adjutanten zu rufen, als der Apparat plötzlich selbst angestrengt zu rasseln begann. Beide zuckten zusammen und blickten sich an. Seit einer Woche hatten sie dieses Geräusch nicht mehr gehört. Wenn der Diensthabende etwas zu berichten hatte, klopfte er stets an der Tür, und sonst gab es niemanden an der Station, der den Vorsteher direkt anrufen konnte.
»Istomin hier«, meldete er sich vorsichtig. »Wladimir Iwanowitsch!Die Tulskaja ist in der Leitung«, hörte er die hastig näselnde Stimme des Telefonisten. »Allerdings sehr schlecht zu hören . Wahrscheinlich unsere Leute . Aber die Verbindung .« »Stell schon durch!«, brüllte der Vorsteher und schlug die Faust mit solcher Gewalt auf den Tisch, dass das Telefon gequält klingelte. Der Telefonist verstummte sofort. Aus dem Lautsprecher drang ein Klicken, dann ein Rauschen, und dann war sie zu hören: eine unendlich ferne, bis zur Unkenntlichkeit verzerrte Stimme.
Jelena hatte das Gesicht zur Wand gedreht, um ihre Tränen zu verbergen. Was konnte sie noch tun, um ihn zurückzuhalten? Warum griff er so begierig nach der erstbesten Möglichkeit, sich aus dem Staub zu machen? Diese jämmerliche Geschichte mit dem Befehl »von oben« und der
»Fahnenflucht« - das alles hörte sie zum hundertsten Mal. Was hatte sie ihm nicht alles gegeben, was nicht getan, in diesen fünfzehn Jahren, um ihm die Flausen auszutreiben!
Doch wieder zog es ihn in den Tunnel, als ob er dort etwas anderes zu finden hoffte als Finsternis, Leere und Verderben. Was suchte er bloß?
Homer wusste genau, was ihr durch den Kopf ging, als würde sie es ihm direkt ins Gesicht sagen. Er fühlte sich schlecht, aber es war zu spät, einen Rückzieher zu machen.
Er öffnete den Mund, um etwas Entschuldigendes, Warmes zu sagen, doch dann schwieg er, denn er wusste: Mit jedem dieser Worte würde er nur noch mehr Öl ins Feuer gießen.
Über Jelenas Kopf weinte Moskau. Sorgsam eingerahmt hing an der Wand eine Farbfotografie der Twerskaja uliza im durchsichtigen
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